Corporate Architecture – Vertrauensbildung durch Firmengebäude

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Corporate Architecture

Der Begriff Corporate Architecture findet im Zusammenhang mit der Gestaltung von Gebäude-, Raum- und Ausstellungskonzepten für Unternehmen Verwendung. Die Architektur von Firmengebäuden soll Informationen zu Produkten und Dienstleistungen transportieren, wiedererkennbar sein oder ein Wertesystem bis hin zu einem bestimmten Lebensgefühl vermitteln. Die erfolgreiche Kommunikation von Unternehmensinhalten durch das räumliche Medium Architektur kann einen Beitrag zur Vertrauensbildung zu den Kunden nach außen und den Mitarbeitern nach innen bilden.

Der Begriff Corporate Architecture wird in Verbindung mit dem Arbeitsfeld Corporate Identity genutzt. Corporate Identity wird mit Formulierungen wie Unternehmensidentität oder Unternehmenspersönlichkeit übersetzt und ist ein Teil der Unternehmenskultur. Corporate Architecture ist einer der Bausteine, die zur Zielsetzung Corporate Identity und somit zur Kultur eines Unternehmens beitragen können. Das Engagement von Unternehmen für eine übergreifende Gestaltung von Medien, Produkten und Firmengebäuden resultiert aus der Erfahrung, dass der erste Eindruck, wie bei einer Person, durch die primär sichtbaren Elemente transportiert wird. Ob der zunächst gewonnene Eindruck nachhaltig positiv ist und Vertrauen beim Betrachter weckt, hängt von der Glaubwürdigkeit des Erscheinungsbildes eines Unternehmens ab. Glaubhaft und Vertrauenswürdig ist es dann, wenn eine Deckungsgleichheit von Inhalt und Abbild des Unternehmens besteht.

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Werksarchitektur und Gesamtkunstwerke

Die Möglichkeiten, einem Unternehmen durch die Architektur der Firmengebäude eine Identität und Persönlichkeit zu verleihen, sind vielfältig. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts haben sich verschiedene Chancen und Möglichkeiten abgezeichnet, eine besondere Verbindung zwischen den Inhalten von Unternehmen und der Gestaltung ihrer Firmengebäude herzustellen. Lange bevor der Begriff Corporate Architecture geprägt wurde, haben einzelne Unternehmerpersönlichkeiten und Architekten Grundlagen für diesen Themenkomplex geschaffen. Die Architektur der Fabriken und Werkssiedlungen wurde als Ausdruck von besonderen Anliegen der Unternehmensgründer genutzt. Peter Behrens definierte 1907 Positionen zur Gestaltung von Produkten, Grafik und Gebäuden für die AEG, in denen sich die neuen Möglichkeiten der industriellen Fertigungstechnik widerspiegeln sollten. Dies bedeutete den Verzicht auf die Kopie handwerklicher Arbeit, historischer Stilformen und die Betonung der neuen, maschinellen Produktionsmethoden. Die Kunden sollten Vertrauen für industriell hergestellte Produkte entwickeln. Camillo Olivetti prägte die Architektur seiner Fabriken durch das soziale Engagement für die Angestellten und deren Angehörige. Das Ziel war es, durch die Gestaltung der Firmengebäude den scheinbaren »Widerspruch zwischen Mensch und Maschine« aufzuheben und die Arbeitswelt zu humanisieren. Das Vertrauen in das Unternehmen wurde durch zahlreiche Gebäude, die dem Wohl der Beschäftigten dienten, gestärkt. Die Summe von unternehmerischen und gestalterischen Maßnahmen führte in einigen Fällen zu Ensembles, die als Gesamtkunstwerke bezeichnet werden können. Die Deutschen Werkstätten Hellerau haben unter dem Einfluss des Architekten Richard Riemerschmid übergeordnete Gestaltungsprinzipien entwickelt, die das Unternehmen nachhaltig bestimmt haben. Der von Hermann Muthesius geprägte Leitsatz, »vom Sofakissen zum Städtebau«, umschreibt das Spektrum der weltweit beachteten Maßnahmen, die bis heute einen Vertrauensvorschuß für das Unternehmen bedeuten.

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Symbolhafte Architekturformen

Symbolhafte Gebäudeformen wurden zunächst in Bereichen, in denen Architektur eine bestimmte Macht oder Weltanschauung ausdrücken sollte, genutzt. Für das Bundespräsidialamt in Berlin wurde von den Architekten eine symbolhafte Form gewählt, um der Einmaligkeit der Bauaufgabe gerecht zu werden (siehe Kurzportrait auf Seite 34). Bei der Gestaltung von Firmengebäuden wurden symbolhafte Architekturformen zur Kommunikation von Unternehmensinhalten verwendet. Der Architekt Martin Hammitzsch bediente sich bei der Gestaltung der Tabakwarenmanufaktur Yenidze in Dresden einer symbolhaften Architektursprache, um eine Verbindung zur Herkunft des Produktes herzustellen. Orientalische Stilelemente wie Minarett, Kuppel und Ornamente der »Tabakmoschee« bilden Assoziationen zum Anbaugebiet des Tabaks. Vor allem hohe Türme dienen als Symbol der Potenz von Unternehmen. Für Firmenzentralen in Form von spektakulären Hochhäusern hat sich der Begriff »signature building« eingeprägt. Die Bezeichnungen für diese Gebäude sind oft identisch mit den Namen der Firmen und Bauherren. Teilweise sind diese architektonischen Statements so prägnant, dass der Firmenname, wie beim Chrysler Building in New York, nachhaltig vertraut und eingeprägt ist. Die Entstehung von Messen und Weltausstellungen boten Unternehmen erstmalig die Möglichkeit, das Vertrauen der Kunden weitab des Firmensitzes durch räumliche Inszenierungen zu gewinnen. Die Entscheidung der Firma Philips, auf der Weltausstellung 1958 mit einem eigenen, von Le Corbusier gestalteten Firmenpavillon, in Erscheinung zu treten, zeugt von großem Selbstvertrauen des Bauherren. Auf die Präsentation von Firmenprodukten wurde zugunsten einer Inszenierung aus Musik und Architektur gänzlich verzichtet. Der Einsatz zukunftsweisender Präsentationstechniken sollte Interesse und Vertrauen bei den Kunden für die Kernkompetenz des Unternehmens, die Elektrotechnologie, vermitteln.

Einheitliche Gestaltungskonzepte

Nach dem 2. Weltkrieg fand in Deutschland unter dem Einfluss der Hochschule für Gestaltung in Ulm eine Verknüpfung einzelner Gestaltungsdiziplinen unter der Zielsetzung Corporate Identity statt. Leitfäden mit Richtlinien zur Gestaltung des gesamten Erscheinungsbildes fanden in der Folge in zahlreichen Unternehmen Verwendung. Die Persönlichkeit der Unternehmer und von einzelnen Architekten ist in den Hintergrund getreten. Das Ziel dieser Manuale ist es, durch einheitliche Gestaltungsparameter ein wiedererkennbares Erscheinungsbild an jedem Standort zu garantieren. Dies kann über die Duplizierung eines nahezu identischen Bautypus an allen Standorten erfolgen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, einen Kanon von typischen Gestaltungselementen festzulegen, die universell eingesetzt werden. Uniforme Gebäude- und Raumkonzepte sind eine weit verbreitete Form des Erscheinungsbildes von Filialisten und Franchising-Unternehmen, die heute maßgeblich die Peripheriebereiche der Städte prägen.

Auch Dienstleistungsunternehmen, wie beispielsweise die neu strukturierte Deutsche Post AG, gestalten ihre Geschäftsräume nach übergeordneten Prinzipien. Der Titel des Filialkonzeptes »Einheit in der Vielfalt« weist bereits auf die zwei Hauptaspekte hin. Die gewünschte Einheitlichkeit wird durch vorgefertigte Einrichtungskomponenten erreicht, die in jeder Filiale zum Einsatz kommen. Der Aspekt Vielfalt ist durch den heterogenen Gebäudebestand des Unternehmens geprägt. Die Anwendung von einheitlichen Gestaltungsparametern für alle Elemente des Erscheinungsbildes bedingt eine kontinuierliche Pflege der Konzeption. Eine Fortschreibung der Vorgaben mit langfristigen Entwicklungsperspektiven ist unverzichtbar, um einer Weiterentwicklung und möglichen Veränderung Raum zu lassen. Wenn die äußeren Merkmale sich nicht mehr mit den Inhalten von Unternehmen decken, kann dies zu einem Vertrauensverlust für das Unternehmen führen.

Pluralistische Gestaltungskonzepte

Umweltverträglichkeit von Gebäuden und die Entwicklung neuer Arbeitsstrukturen finden Berücksichtigung im Selbstverständnis von Unternehmen und Ausdruck in der Architektur der Firmengebäude. Der Büromöbelhersteller Wilkhahn aus Bad Münder hat Leitsätze zur Unternehmensphilosophie formuliert, die für alle Bereiche des Unternehmens Gültigkeit haben. Die Deckungsgleichheit, die sich daraus im Anspruch an Produkt, Produktion und Produktionsstätten ergibt, bewirkt eine starke Homogenität zwischen den inhaltlichen Prinzipien der Firma und dem Erscheinungsbild.Das Zusammenwirken von Markeninhalten und Architektur führt zum Bau von sogenannten »Flagshipstores« sowie »Erlebnis- und Markenwelten«. Der Kunde wird eingeladen, die speziellen Markenwerte und das damit verbundene Lebensgefühl durch räumliche Inszenierungen vor Ort zu erfahren. Die Firmengebäude werden zu einem verbindenden Medium zwischen den Kunden und dem Unternehmen.

Für die Autostadt des Volkswagenkonzernes in Wolfsburg wurden alle Marken in Architektur »übersetzt«. Mit der Gläsernen Manufaktur in Dresden wurde ein neuartiger Gebäudetypus entwickelt, der Aspekte aus den Bereichen Produktion und Unterhaltung vereint. Die Transparenz und die Einbeziehung der Besucher in den Produktionsprozess dienen der Öffnung des Konzernes und der Vermittlung von Vertrauen in das Unternehmen und seine Produkte.

Corporate Architecture ist ein strategisches Instrument zur Konzeption von Gebäuden für Unternehmen, mit dem Ziel, den Inhalt, die Identität und die Persönlichkeit eines Unternehmens zu prägen und zu kommunizieren. Die Beispiele aus verschiedenen Phasen des 20. Jahrhunderts zeigen unterschiedliche Schwerpunkte auf, die Gestaltung von Firmengebäuden als Beitrag zur Vertrauensbildung von Unternehmen einzusetzen.

»Gleichberechtigt, nicht verglaster Schein«

Auch politische Einrichtungen brauchen Corporate Architecture.

Wenn man davon ausgeht, dass Transparenz Vertrauen schafft, wirkt das neue Bundespräsidialamt äußerst verschlossen. Dazu ein Statement der verantwortlichen Architekten Martin Gruber und Helmut Kleine-Kraneburg:

„Ein Gebäude hat mehr als ein transparentes Nichts zu sein. Bauwerke sind Stellvertreter für unser Leben, sie sind die gebaute Realität. Gebäude haben dienende und schützende, intime und konzentrierte Orte für die darin arbeitenden und darin lebenden Menschen anzubieten.

Die Transparenz eines Hauses allein gilt für uns nicht als das Bestimmende Kriterium von Bürgernähe und Offenheit. Es wäre viel zu widersinnig, mit einem Glashaus ein Bürgerhaus schaffen zu wollen. Es gilt, und das hat mehr mit den Bürgern zu tun, alle auf ein Bauwerk einwirkenden Kräfte in Einklang zu bringen. Es ist eines der hehren Ziele unserer bürgerlichen Gesellschaft, dem Wahren, Guten und Schönen zu dienen. Hier liegt der Auftrag für uns als Architekten, als die dafür Berufenen sich zu zeigen. Dies ist der Anspruch, verantwortungsvoll mit dem von den Bürgern an uns übergebenen Vertrauen, rücksichtsvoll aber auch gekonnt umzugehen.

Transparenz ist damit für uns nicht gleichgesetzt mit Offenheit, Durchsichtigkeit oder gläsern zu sein. Viel wichtiger ist, dem Benutzer und Betrachter eines Hauses nichts zu verschleiern, sondern die Kräfte des Hauses, die gewählte Tektonik zu zeigen, und damit das Tragende und Lastende auszudrücken, es in Harmonie mit dem Raum wirken zu lassen. Speziell beim Bundespräsidialamt wurde ein Raum für alle geschaffen. Darin finden sich alle ein, ob Bundespräsident oder Mitarbeiter, ob Besucher oder Staatsgast. Jeder wird hier genauso aufgenommen, jeder erfährt die gleiche Bedeutung, ein akzeptierter Teil unserer Gesellschaft zu sein. Hier wird unsere freiheitlich denkende liberale Gemeinschaft erlebbar gemacht, das ist der Vertrauensbeweis, den wir als Baumeister gesucht und zum Ausdruck gebracht haben. Ein gleichberechtigtes harmonisches Ganzes, nicht Stückwerk und nicht verglaster Schein.

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