Werkzeuge des Architekten im Wandel

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Sitzt ein Architekt heutzutage eigentlich noch mit einem Kohlestift vor seinem Zeichenbrett und zieht manuell Lineale und Winkel über sein Transparentpapier? Rechnet er den ganzen Tag Formeln zu Materialstärken und Belastungswerten?

Werkzeuge des Architekten im Wandel

Oder visualisiert er seine Projekte in fotorealistischen Renderings? Es gibt sicherlich alles. Noch?! Genauso wie niemand weiß, ob E-Books gedruckte Bücher irgendwann ersetzen werden, können Architekten sich größtenteils noch nicht vorstellen, schon erste Ideen und Skizzen auf Tablets zu zeichnen. In Ausstellungen über das Werk einzelner Architekten sind oftmals Skizzen auf Papierservietten oder schnell aus einem Block herausgerissenen „Fetzen“ zu sehen. Hier werden Brainstormings festgehalten und die allerersten Volumenstudien ausprobiert.

Am Pfefferberg in Berlin-Prenzlauer Berg wurde 2013 ein eigenes „Museum für Architekturzeichnung“, die Tchoban Foundation, entworfen von SPEECH, Architekten Sergei Tchoban und Sergei Kuznetsov, eröffnet. Das Thema scheint weiterhin aktuell zu sein. Wenn es an die detaillierte und konkrete Planung von Bauwerken geht, kommt jedoch heutzutage kein Architekt mehr um CAD-Programme und Visualisierungen herum. Der Wandel der Werkzeuge des Architekten – von Transparentpapier und Schattenkonstruktion mit Tuschestift bis hin zu fotorealistischen 3D-Planungen – hat sich in den letzten Jahren rasant vollzogen. Im Studium wie im Beruf. Und das ist in unserer heutigen schnelllebigen Zeit sicher auch gut so.

Wenn ein Architekt neben vielen anderen zu einem Realisierungswettbewerb eingeladen wird, müssen Ideen schnell sehr konkret und klar strukturiert dargestellt werden. Handarbeit wäre hier viel zu zeitaufwendig,vor allem, wenn der Architekt gar nicht weiß, ob er den Auftrag erhält. Der Technik zur Visualisierung von Architektur sind keine Grenzen gesetzt. Es ist mittlerweile möglich, in Echtzeit virtuell durch ein Gebäude zu laufen. Sicher ist, dass es für eine Generation, die mit Handys und Computern aufgewachsen ist, keine Angst macht, wo die Reise hingeht. Wir haben zwei Architekten, zum einen aus einem „klassischen“ Architekturbüro, zum anderen aus einem Unternehmen, das sich auf Architektur-Visualisierung und Präsentation spezialisiert hat, zu den Vor- und Nachteilen des Zeichnens von Hand und des komplett computergesteuerten Entwerfens und Präsentierens befragt. Beide sind persönlich der Meinung, dass die Handskizze der direkteste Weg für erste Gedanken ist und bleibt, egal wie weit die Technik schon ist. Vermutlich hängt das räumliche Vorstellungsvermögen und die Fähigkeit zu skizzieren zusammen und ist die Voraussetzung für die Anwendung von CAD und 3D.

Werkzeuge des Architekten im Wandel
Explosionsdarstellung eines Bürogebäudeentwurfs, Bonn. Screenshot aus einem von der avpgroup entwickelten Interactive zur Immobilienvermarktung

Fünf Fragen an Prof. Michael Schumacher _ schneider+schumacher, Frankfurt am Main

Prof. Michael Schumacher ist Architekt und gemeinsam mit Till Schneider Inhaber und Geschäftsführer von schneider+schumacher. 1988 gegründet, wurde das Büro mit der roten Info-Box in Berlin bekannt. Seit dem Beginn der 2010er Jahre agiert das inzwischen auf 130 Mitarbeiter angewachsene Büro zusätzlich im Ausland mit Standorten in Wien (A) und Tianjin (China). 1999–2000 war Michael Schumacher als Gastprofessor an der Städelschule tätig, seit 2007 hat er eine Professur für Entwerfen und Konstruieren an der Fakultät für Architektur und Landschaft an der Leibniz-Universität Hannover.

1. Sie zeigen in Ihrem Imagefilm auf Ihrer Website unter anderem Handzeichnungen und selbstgebaute Modelle. Welche Rolle spielen die Handzeichnung und das handgemachte Modell für Sie als Architekt?

Die Handzeichnung ist und bleibt für mich das wesentliche Ausdrucksmittel des Architekten. Zeichnen ist unsere Sprache. Im Zeichnen liegt unglaublich viel: die Wahrnehmung der Zusammenhänge, das Erfassen von Proportionen, die Betonung und Gewichtung des Wesentlichen und atmosphärische Aussagen. Nach wie vor wird häufig eine Handskizze der Repräsentant eines Projektes. Zeichnen ist auch ungeheuer schnell. Bis mein Laptop hochgefahren ist, habe ich schon die ersten Striche auf dem Papier. Ein vielleicht eher philosophischer Aspekt des Zeichnens ist die Freiheit, die darin liegt: kein Strom, keine riesige Infrastruktur, kein Programm. Letztlich ist jedes Zeichnen auf dem Computer doch eher eine Fahrt mit der Eisenbahn auf festgelegten Gleisen als eine freie Wanderung durchs Gelände. Dasselbe gilt für das handgemachte Modell. Kopf-Hand-Kontakt, unmittelbares Erfahren von Auswirkungen, wie etwa: „Das hält ja gar nicht, wenn da keine Stütze hinkommt.“ Alle diese Aspekte sind im Modell „begreifbar“ und daher ganz anders kontrollierbar. Handzeichnen und Modellbauen ist und bleibt unverzichtbar. Ich spreche hier nicht von verkünstelten Architekturskizzen oder handwerklichen Schmuckstückmodellen, sondern von Skizzen und Modellen, die schnell und unmittelbar zu Erkenntnissen führen.

2. Sollte ein Architekturstudent heute noch Freihandzeichnen können bzw. dieses erlernen? Oder ist ein rein CAD-gestütztes Entwerfen möglich? Anders gefragt: Wie wirkt sich der Wandel der Werkzeuge des Architekten auf das Architekturstudium aus?

Das freie Zeichnen ist nach wie vor essenziell! Aber natürlich müssen Architekturstudenten auch die CAD-Werkzeuge beherrschen. Das wirkt sich insofern auf das Studium aus, als dass neben dem Freihandzeichnen auch Zeichenprogramme gelehrt und erlernt werden müssen. Glücklicherweise haben die Studenten eine große Affinität zum Computer. Sie wollen und müssen das können.

3. Der Entwicklung neuer Werkzeuge sind keine Grenzen gesetzt: fotorealistische Renderings, 3D-Drucke oder Augmented Reality sind Stichworte. Machen Sie davon Gebrauch?

Wir wollen schöne und dauerhafte Häuser und Städte bauen – so einfach lässt sich für uns „Nachhaltigkeit“ definieren. Um das zu tun, benutzen wir alle Werkzeuge, die uns zur Verfügung stehen. Vergessen dürfen wir nicht: Es sind alles nur Werkzeuge. Antoni Gaudí hat Formen geschaffen, von denen Studenten heute denken, sie seien nur mit einem Programm wie Grasshopper möglich geworden. Die fotorealistischen Renderings sind Fluch und Segen zugleich und es kommt auf den Umgang an. Es hilft uns Architekten sehr, den Entwurf zu kontrollieren und zu „verkaufen“. Schwierig ist allerdings, dass Bauherren keinen entwickelten Entwurf mehr haben möchten, sondern nur ein „Bildchen“, von dem dann alle annehmen, dass es später etwas mit der gebauten Realität zu tun hat. Leider ist das häufig nicht der Fall.

4. Ist es möglich, das generalistische Architekturstudium immer auf dem neuesten Stand der Technik zu halten, oder bedarf es hierfür gesonderter Studienprogramme? 

Wir verstehen uns als Generalisten, als umfassende Problemlöser für einen definierten räumlichen Bereich unserer gebauten Realität – in dieser Weise bilden wir in Hannover auch Architekten aus. Das bedeutet: Die Fähigkeit, wie auf eine Situation reagiert wird, steht im Vordergrund – nicht deren unmittelbare Lösung. Ich bleibe bei dem Vergleich zum Dirigenten oder Regisseur, auch wenn uns diese Rolle teilweise von Projektsteuerern streitig gemacht wird. Ein guter Regisseur weiß um den Gesamtzusammenhang eines Filmes, genauso wie ein guter Architekt über den seines Projektes. Aus diesem Gesamtzusammenhang wird er gewahr, dass er besondere Experten braucht, um etwa einen Science-Fiction-Film zu machen oder ein Hotel zu planen. Und dazu braucht es sicherlich gesonderte Studienprogramme, die ich allerdings nicht in der Bachelor- und auch noch nicht in der Master-Ausbildung sehe, sondern danach. Um Architekt zu werden, braucht es fünf Jahre Grundausbildung und dann Spezialisierungen, die das ganze Leben lang verfeinert werden.

Skizze von Prof. Michael Schumacher „DOXX“

5. Welche der zuvor besprochenen Werkzeuge sollte ein Architekturabsolvent beherrschen?

In Hannover lernen die Studenten ein CAD Grundprogramm, um Pläne zu erstellen. Das befähigt sie dazu, alle anderen auf dem Markt befindlichen Zeichenprogramme in relativ kurzer Zeit erlernen zu können. Darüber hinaus werden Fähigkeiten zur Erstellung von Renderings vermittelt – mit den dazu notwendigen Programmen für den Volumenaufbau und die Bildbearbeitung. Zunehmend wichtig finde ich die Vermittlung von Parametrik, weil damit ein sowohl kreatives als auch optimierendes „Tool“ geschaffen wurde, das den Computer zu etwas mehr macht als nur einem präziseren und umfangreicheren Zeichenstift.

Herr Schumacher, vielen Dank für das Gespräch.

Fünf Fragen an Martin Becker _ avpgroup, Düsseldorf

Martin Becker gründete 1998 aus dem Architekturstudium in Düsseldorf die AVP (Architektur / Visualisierung / Präsentation), die sich als GbR zunächst auf die Architekturvisualisierung spezialisierte. Nach der Umwandlung in eine GmbH agiert das Unternehmen heute unter dem Namen avpgroup als Agentur für strategische Immobilienkommunikation. In einem Team aus Architekten und Designern werden schlüsselfertige Kommunikationslösungen für Bauvorhaben und Standortentwicklungen entwickelt. Martin Becker ist Lehrbeauftragter für Visualisierung an der Hochschule Bochum.

1. Sie haben bereits 1998, noch während des Studiums, den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und eine Nische, die Architekturvisualisierung, besetzt.
Wie kam es dazu? 

Ich habe damals während des Studiums als studentische Hilfskraft bei einem Projektentwickler und Investor in Düsseldorf gearbeitet. Dort habe ich einen Wettbewerb für den Kaufhof bearbeitet und das Projekt initiativ in 3D vorbereitet. Ich konnte etwas Photoshop, ein Kommilitone ein bisschen 3D und ein Freund wiederum war Fotograf. Zusammen haben wir drei Fotomontagen auf Dias ausbelichtet, weil es noch keine Beamer gab. Das Ergebnis war ein großer Erfolg. Wir beschlossen, weiter Renderings zu erzeugen, und das Geschäft lief so gut, dass wir nach zwei Wochen eine GbR, AVP (Architektur / Visualisierung / Präsentation), gründeten. Schon bald haben wir unsere eigenen Büror.ume gemietet und in den ersten Jahren für viele Düsseldorfer Büros ausschließlich Wettbewerbe bearbeitet.

2. Haben Sie sich die Werkzeuge zur Architekturvisualisierung selbst angeeignet oder diese im Studium vermittelt bekommen? 

Die Grundlagen haben wir im Studium vermittelt bekommen. Man kann aber nicht sagen, dass wir richtig fit waren. Es ist oft so, dass man Dinge, die man einfach macht, auch schafft. Man muss unzählige Nächte daran sitzen, und irgendwann ist man auf der nächsten Stufe und dann geht es von dort aus weiter. Als ich studiert habe, war es noch nicht üblich, computergezeichnete Pläne an die Wand zu hängen. Es war kein populäres Thema an der Schule in Düsseldorf – zumindest bei den Entwerfern.

3. Spielt die Handskizze in Ihrem beruflichen Alltag noch eine Rolle? Kritzeln Sie anfangs von Hand auf Papier oder ist Ihre Arbeit rein computergestützt? 

Ich bin in 80 Prozent der Fälle zuerst noch mit der Handskizze unterwegs, weil ich mich in dieser Weise sehr schnell ausdrücken kann. Das geht bei mir schneller, als wenn ich versuche, etwas direkt in 3D aufzuziehen. In 3D kommt es auch viel schneller zur Diskussion über das Detail. Wichtig ist die Frage, welchen Detaillierungsgrad eine erste Idee haben soll. In einer Bleistiftzeichnung kann bereits eine Perspektive erkennbar sein und alles andere kann erst einmal beschrieben werden. Zeichnen ist ein kommunikativer und individueller Vorgang, der in einer Besprechung vor dem Kunden durchgeführt werden kann. Die Akzeptanz für Handzeichnungen erhöht sich wieder, weil es eine Übersättigung an Hochglanz-Visualisierungen gibt. Skizzen geben allerdings auch mehr Interpretationsraum und stellen ein Projekt bei weitem nicht so lückenlos vor wie detaillierte 3D-Szenen, zu denen der Bauherr nur noch sagen muss: „Genauso wünsche ich mir das!“ Wenn wir abstrahieren, entstehen Fragezeichen. Aber auch das kann erstrebenswert sein. Wenn ein Wohnungsprojekt mit einem 3D-Grundriss illustriert wird, der eine eigene Handschrift trägt, dann ist das hochwertiger, als wenn es einfach „nur“ ein high-end gerenderter 3D-Grundriss ist

4. Ihre Projekte werden immer komplexer, es kommen Techniken wie Augmented Reality oder Echtzeit 3D hinzu. Welche Vorteile bieten diese „Werkzeuge“? 

Die Bedeutung von Echtzeit wächst extrem, vor allem vor dem Hintergrund, dass zunehmend mit BIM geplant wird und werden muss. Dadurch wird Dreidimensionalität auch im operativen Architektengeschäft mittelfristig ein Thema. Die Möglichkeiten, die sich aus der Echtzeit-3D ergeben, werden sich im Planungsprozess so selbstverständlich einnisten, wie heutzutage jeder Bauherr Visualisierungen verlangt. Das war vor Jahren noch völlig exotisch, und mittlerweile ist es absoluter Standard. Und das wird mit Echtzeit genauso sein. Noch ist es mit einem großen Aufwand verbunden, aber in wenigen Jahren wird das alles normal sein. Das Angebot an neuen Plugins, Software und Hardware verändert sich wöchentlich, die Entwicklung ist rasant. Es ist sehr schwer absehbar, wo die Entwicklung hinführt. Ich nehme an, dass in zehn Jahren, und zehn Jahre sind in diesem Zusammenhang lang, viele Architekten mit einer VR-Brille in Büros sitzen werden, in der sie die Architektur an ihrem BIM-System bauteilspezifisch planen, fotorealistisch Lichtstimmungen sofort erleben und mit ihrem Bauherrn gemeinsam Begehungen machen können. Die Virtualisierung des Planungsprozesses wird immer weiter voranschreiten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Architekt in 20 Jahren noch genauso dasitzt wie heute. Vor 10 Jahren zeichnete sicher noch die Hälfte der Architekten am Zeichenbrett, und jetzt wächst in allen Büros die 3D-Software heran. Ich bin mit Anfang 40 eine Brückengeneration. Ich hänge zwischen den Welten. Ich kann analog und digital. Die, die nach mir kommen sind überwiegend digital unterwegs, und das wird in den nächsten Generationen noch extremer. Die Generation vor mir hat größte Berührungs.ngste mit allem Digitalen, findet es aber toll und nutzt die Stärken daraus. Das romantische Bild des Architekten geht mit dieser Entwicklung aber auch verloren.

5. Ist es möglich, das generalistische Architekturstudium immer auf dem neusten Stand der Technik zu halten oder bedarf es hierfür gesonderter Studienprogramme? 

Es ist wie alle anderen Inhalte auch nichts, was man während des Studiums komplett zu Ende lernen kann. Man kann an der Hochschule Dinge anlernen, man kann merken, welcher Bereich einen interessiert, und den kann man dann vertiefen.

Herr Becker, vielen Dank für das Gespräch.

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