Ode an die Narzissten

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Narzissten sind selbstbezogen, süchtig nach Anerkennung und neigen zum Größenwahn. Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitszügen passen gut in die Erfolgsgesellschaft und setzen sich oft an die Spitze von Projekten. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: für den Fortschritt braucht die Welt Narzissten.

Ode an die Narzissten

Einige meiner besten Freunde sind Narzissten, schreibt der amerikanische Psychologe Stephen Scott in seiner Einleitung zu seinem Buch über Narzissmus. Sie leisten einen wichtigen Beitrag in der Gesellschaft. Narzissten sind mehr auf ihre Karriere fixiert als andere, sind dabei aber auch rücksichtsloser gegen sich und gegen andere und landen genau deshalb in den Schaltzentralen der Macht, vor den Mikros und auf den Bühnen. Sie zerfleischen sich nicht in Selbstzweifeln, wie andere Persönlichkeitstypen, sondern haben Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Sie trauen sich etwas zu und schießen dabei oft über ein realistisches Maß der Belastbarkeit hinaus. Narzissten überschätzen sich regelmäßig und neigen zum Größenwahn.

Das „Prinzip Narzissmus“ passt hervorragend zu den Gesetzmäßigkeiten der freien Wirtschaft und des ständigen Fortschritts. Narzissten drängeln sich als „Machthaber“ überhaupt an jede Entscheidungsspitze, natürlich auch in nicht-kapitalistischen Systemen. (Womöglich ist der aus den Fugen geratene, machtberauschte Narzissmus verantwortlich für das Scheitern des Sozialismus?)

Narzissmus passt zur erfolgsorientierten Gesellschaft

Der amerikanische Psychoanalytiker Christopher Lasch spricht vom „Zeitalter des Narzissmus“, und es gibt eine ganze Reihe von Psychologen, die eine Zunahme narzisstischer Störungen diagnostizieren. In unserer und eventuell in jeder Gesellschaft hat vor allem derjenige Erfolg, der sich behaupten kann, der sich durchsetzt, der sich darstellt. Das deutsche Manager-Magazin wetterte über die maßlose Gier und das übersteigerte Ego von Topmanagern, die verantwortlich seien für die größten Bilanzskandale der vergangenen Jahre. Die Helden der amerikanischen New Economy inszenierten sich wie Sonnenkönige. Typisch Narzissten?
Narzissten brauchen Bewunderung. Auf den Sockel gelangen sie nur durch jubelndes Publikum. Wo kein Publikum ist, kann auch kein Narzisst gedeihen. Es ist die Brillanz, die Grandiosität, der Charme, die Wortgewandtheit, die Faszination, die ausstrahlen und die denken lässt „so möchte ich auch sein“. Die Popkultur, der Leistungssport, die Medienszene und besonders die Politik sind ideale Bühnen für die Befriedigung narzisstischer Bedürfnisse.

Manche sind Anführer. Manche wollen sich führen lassen.

Abschaffen kann man Narzissmus nicht. Es ist ein Aspekt des menschlichen Lebens und ein gewisser Grad an Narzissmus gehört zu einer stabilen Persönlichkeit. Im Grunde ist jeder Mensch darauf angewiesen, dass er von anderen seinen Wert zurückgespiegelt bekommt. Man braucht ein Selbstwertgefühl und muss es ständig behaupten, aufbauen, neu gewinnen. Dabei zählt besonders die Reaktion und Anerkennung, die man von anderen bekommt. Ob er eine krankhafte Form annimmt, entscheidet die jeweilige Ausprägung. So kann aus der Suche nach Anerkennung, die in eine machtvolle Position mündet, leicht eine Sucht nach Anerkennung werden. Narzissten ist der Zugang zum eigenen Gefühl im Wesentlichen versperrt und damit fehlt ihnen auch Einfühlungsvermögen in andere Personen. Ihr ganzes Leben ist meist davon geprägt, Anerkennung durch Leistung zu erreichen. Ein brutales Korsett. Manchmal folgt der Total-Zusammenbruch oder Absturz.

Macht fasziniert. Wer sie ausübt, wird oft bewundert oder verteufelt. Macht ist weder gut noch böse. Und für einige ungemein verführerisch. Wenn man beispielsweise an Politiker denkt, pflegen die meisten eine wahre Freude, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Kein Grund, dies abzuwerten! Seien wir ehrlich: Wir wählen lieber jemanden, der im Licht der Kameras strahlt als jemanden, der griesgrämig dreinschaut. Narzissten wollen im Rampenlicht stehen und von jedem gesehen werden. Sie sind schillernde Persönlichkeiten, solange die Scheinwerfer auf sie gerichtet sind. Überspannen sie allerdings den Bogen, geblendet von sich selbst, verschließen sie die Augen vor der Wirklichkeit. So erkennen einige Politiker zu spät, wie nah sie bereits am Abgrund stehen.

Ohne Bewunderung folgt der Absturz

In dem Augenblick, wo ihnen von außen keine Bewunderung mehr entgegengebracht wird, knicken Narzissten im wahrsten Sinne des Wortes ein und fühlen sich wertlos, minderwertig und haben extrem starke Schamgefühle. Ihr Selbstbewusstsein ist nicht wirklich vorhanden, sondern fußt stets auf dem Glanz der Bewunderung. In die Enge getrieben, versuchen sie die Kränkung auszugleichen, indem sie nach außen extrem aggressiv selbstbewusst auftreten. Narzissten könnten Mitgefühl hervorrufen, wenn ihre unangenehme Selbstbezogenheit dies nicht wirkungsvoll verhindern würde. Es ist die grandiose Selbstgewissheit des Ich, von der Narzissten beherrscht werden. Menschen mit einer stark narzisstischen Ausprägung sehen das Problem erst dann bei sich selbst, wenn bei Ihnen die Fassade der Selbstberauschung zusammenbricht. Ein Politiker wird nicht wiedergewählt, oder die Ehefrau trennt sich, weil sie neben einem so „tollen“ Mann nicht mehr existieren kann. Oft aber schwimmen die Betroffenen jahrelang auf der Welle des Erfolgs. Sie sind vom Ehrgeiz getrieben und genießen die Macht ihrer beruflichen Position, die sie nicht zuletzt ihrem Narzissmus zu verdanken haben. Und die dem Narzissmus neue Nahrung gibt. Bei Kollegen und selbst in ihren Beziehungen sind sie nicht selten mehr gefürchtet als geliebt.

Wenn man genau nachschaut, ist das, was nach außen wie ein Übermaß an Selbstliebe aussieht, im Grunde das genaue Gegenteil. Je mehr die Fähigkeit, sich selbst zu lieben, gestört ist, desto eher kommt es zur narzisstischen Persönlichkeits-Störung. Diese Störung entwickelt sich früh und führt diese Menschen in eine Isolation. Sie spalten ihre Gefühle ab. Sie fühlen sich kalt. Sie fühlen sich neidisch. Weiche Gefühle können sie kaum entwickeln.

Narzissten bauen eine Wand zwischen sich und den Gefühlen

Dr. Claas-Hinrich Lammers, Privatdozent und Psychiater an der Berliner Charité: „Mit Macht kann man auch die anderen in Schach halten, das heißt man muss sich nicht der Kritik und dem prüfenden Blick der anderen aussetzen. Und gleichzeitig hat Macht auch etwas Aggressives. Sie ist ein probates Mittel, um sich von anderen Menschen abzugrenzen, sie sich gewissermaßen vom Leib zu halten. Das Problem bei Narzissten mit der Macht ist bloß, dass sie dazu neigen ihre Macht zu missbrauchen.“

Narzissten können sich in der extremsten Form und mit ungeheuren Machtmitteln ausgestattet, zu den Despoten der Geschichte steigern: von Cäsar über Napoleon bis hin zu Hitler. Die Gefahr allgemein ist, dass Narzissten als Berater nur Ja-Sager und Bewunderer um sich herum scharen. Und dann fehlt ihnen eben die kritische Resonanz, die jeder braucht, der in so einer herausgehobenen Position ist.

Spektakuläre Superhelden, die durch die Lüfte fliegen

Als Held, als Superstar, der durch die Lüfte fliegt, der kein Abenteuer scheut, so sehen sich Menschen mit narzisstischen Störungen. Sie lieben das Spektakuläre, das Ungewöhnliche. Vor nichts scheinen sie zurückzuschrecken. Narzisstische Menschen sind nicht nur von sich überzeugt. Sondern sie glauben fest daran, dass andere Menschen sie auch überzeugend finden. Und Beziehungen, seien es nun private oder berufliche, funktionieren so lange, wie die Partner den Status des Narzissten nicht ankratzen oder in Frage stellen. Narzissten sind Meister im Schönreden und verstehen es glänzend, anderen Menschen etwas vorzumachen. Selbst wenn ihre eigene Lage bedrohlich erscheint.

So sehr sie nach außen schillernd, unbeschwert auftreten, so sehr leiden sie auch unter ihrer Rolle. Auch wenn sie sich das meistens kaum oder gar nicht eingestehen wollen. Das tiefere Bedürfnis ist sich geliebt fühlen zu können. Aber Liebe gewinnt man weder über Anerkennung, noch durch Macht. Anerkennung kann man erarbeiten, aber nicht Liebe. Liebe ist immer ein Geschenk. Text: Beate Schwedler

Literatur: Hans-Jürgen Wirth: Narzissmus und Macht. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik. Psychosozial-Verlag. 2002. Stephen M. Johnson: Der narzisstische Persönlichkeitsstil. August 2000, Edition Humanistische Psychologie. Alice Miller: Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst, 2004 Suhrkamp Verlag.

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