Mit überzeugenden Kunstgriffen können Häuser auf dem Papier lebendig werden

7 min Lesezeit

Von Karla Schmidt

Geschichten von Menschen

'Packende Texte brauchen Bewegung', 'Ohne Story bleibt ein Text statisch', 'Die richtigen Details können Welten erschaffen', 'Entfernen Sie die Holzwolle'. Solche Aussagen benutze ich, wenn ich eine Literaturklasse unterrichte. Die Geschichten, mit denen ich normalerweise zu tun habe, handeln allerdings von Menschen und nicht von Häusern. Menschen bewegen sich, haben Probleme, treffen Entscheidungen. Gebäude stehen 'nur' herum. Wie kann also eine Gebäudebeschreibung Emotionen wecken, wie werden Pressetexte oder Ausstellungskonzepte lebendig? Mit welchem Anspruch und welcher Haltung beschreibt man überhaupt Architektur? Gebäude existieren nicht für sich allein, und wenn man weiß, wie man die Wirkung von Texten steuert, kann man über statische Gebäude sehr dynamisch schreiben. Weil man dabei letztlich auch immer über die Bedürfnisse und Lebensfragen von Menschen schreibt.

Wen interessiert’s?

Dazu muss man allerdings wissen, um welche Bedürfnisse es geht. Ein Ausstellungsprojekt kann sich an Historiker oder an Futurologen richten. Manchmal geht es um den Zuschlag für ein prestigeträchtiges Großprojekt, manchmal möchte man interessierte Laien mit einem Architekturblog unterhalten. Und bevor man eine Festschrift zum hundertjährigen Firmenjubiläum schreibt, sollte man sich fragen, wer das lesen soll. Wenn Sie wissen, für wen Sie schreiben, können Sie Themen und Fragen benennen, die Ihre Leser*innen berühren. Machen Sie sich klar, für welches Problem Sie eine Lösung anbieten, welche Hürden dabei überwunden werden müssen und welche Aussicht Sie auf das menschliche Zusammenleben aufzeigen möchten.

Problemlösungsmodelle

Und dann müssen Sie es richtig transportieren. Sie brauchen eine Story. Kurz gesagt, sind alle Geschichten Problemlösungsmodelle, und Probleme werden ersichtlich durch ungelöste Fragen. Denken Sie an eine beliebige Serie: Die Figuren haben ein Problem. Sie überwinden Hürden und Widerstände, und am Ende haben Sie meist eine Lösung gefunden und zudem ein emotionales Bedürfnis erfüllt. In Bezug auf Nachhaltiges Bauen erweist sich das nachfolgende Beispiel als passend. Gleich zu Anfang wird das zu lösende Problem benannt:

Das Bauen, wie wir es in den letzten gut 100 Jahren betrieben haben, muss sich wandeln. Jedenfalls, wenn Architektinnen und Architekten ihren mannigfachen Bekenntnissen, einen relevanten Beitrag zur Verlangsamung des Klimawandels leisten zu wollen, ernsthafte Taten folgen lassen.

Nachdem hier gleich die Protagonisten – die Architekt*innen - benannt wurden, wird ein Lösungsansatz aufgezeigt: Neu-Beton und -Zement dürften Expertenmeinungen nach dabei ganz oben auf der Streichliste stehen. Seit Jahren gibt es Versuche, Rohstoffe zu verwenden, die weniger CO2 aktivieren als der Architektenliebling Beton. Nachwachsende Baumaterialien könnten dabei einen relevanten Beitrag leisten, zumal sie selbst Kohlendioxid

Die Story schon im Titel anlegen

Man kann sogar noch früher ansetzen; bereits der Titel sendet wichtige Signale zu Thema, Problem und Lösung. Nehmen wir einen Titel für eine fiktive Broschüre, die Interessenten für ein Genossenschaftsprojekt ansprechen soll: „Together in nature  – Leben, Wohnen und Arbeiten am Fluss“. Hier klingt das Versprechen an, aus einem schnelllebigen und vereinzelt urbanen Umfeld ausbrechen zu können. Raus aus der Stadt, rein in die Natur und in das Wohlgefühl von Gemeinschaft. Es geht bereits im Titel um Menschen und nicht um Häuser.

Ein weiteres Beispiel: „Critical Care – Architecture and Urbanism for a Broken Planet” (2).

Dies ist der Titel einer Ausstellung über städtebauliche Projekte, bei denen Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit im Fokus stehen, zusammengefasst in einer globalen Studie.

„Critical Care“ bedeutet einerseits, sich mit kritisch-analytischem Blick um etwas zu sorgen und zugleich „Intensivmedizin“. Wir haben es mit einem Notfall zu tun, und die vorgestellten Projekte sind gleichsam die Kur. Durch die Lösungsorientierung offenbart schon der Titel Zukunftsoptimismus. Und man erkennt bereits die Story: Die Lebensbedingungen (Thema) werden zunehmend unsicher, der Planet geht den Bach runter (Problem). Doch es gibt Hoffnung, wenn wir uns kümmern (Lösungsansatz) und bereits Leute (Protagonisten), die es vormachen.

Protagonisten, Thema, Problem, Lösung. Fertig ist die Geschichte.

Stimmung erzeugen

Die Anbindung an menschliche Bedürfnisse ist ebenfalls hilfreich, wenn man sachliche Informationen vermitteln oder Vorschläge unterbreiten will. Nehmen wir an, eine Stadt schreibt einen Bibliotheksneubau aus. Ein Wettbewerber schlägt einen Stahlbetonbau vor und beginnt mit: Stahlbeton ist ein sehr stabiler und flexibler, künstlicher Verbundwerkstoff aus den Komponenten Beton und Bewehrungsstahl. Der Verbund beider Komponenten entsteht durch die Verklebung des Bindemittels Zement mit der Rippung des runden Bewehrungsstahls. Belastungen bis zu …

Und so weiter. Sachlich korrekt – und so langweilig, dass man nach zwei Sätzen aussteigt. Es geht hier nicht um Menschen, die die Bibliothek nutzen, es geht nicht um die Funktion des Gebäudes oder um das Gefühl, sich dort aufzuhalten. Es zeigt sich kein Verständnis für Bibliotheken. Man erhält nur Verständnis für Stahlbeton.

Wenn man hingegen die Stimmung hervorhebt, die eine Bibliothek aus Stahlbeton erzeugen kann, könnte es so aussehen: Stahlbeton ist ein eleganter Baustoff und ohne Einschränkung formbar. Trotz der Schwere des Materials sind weite, lichtdurchflutete Räume, überraschende Sichtachsen und geschützte Lesebereiche möglich. Mit Böden aus Holz sowie begrünten Innenhöfen hinter Glasflächen entsteht eine warme, lichtvolle Ästhetik.

Die Holzwolle entfernen

Ein verbreiteter Irrtum ist, dass ein Text stimmungsvoller wird, wenn man ihn mit vielen Wörtern ausstattet. Solches Füllmaterial verhindert jedoch eher Tiefe und Dichte, wie im folgenden Beispiel zum Thema Micro-Living:

Um den geringen Platz bestmöglich zu nutzen, bieten immer mehr Firmen intelligente Einrichtungssysteme an, die sich den eigenen Wünschen individuell anpassen. So kann ein Modul, das sowohl einen Schlafplatz, als auch einen Wohnbereich enthält problemlos per Knopfdruck aktiviert oder verrückt werden. […] Während es beim Micro-Living in erster Linie um einen effizient genutzten Wohnraum in zentraler Lage geht, spielen natürlich auch die Kosten eine wichtige Rolle. Eine kleinere Wohnfläche bedeutet demnach im Umkehrschluss geringere Miet- beziehungsweise Baukosten. Die energieeffiziente Bauweise reduziert darüber hinaus die Nebenkosten. Dank platzsparender Interior-Lösungen können die wenigen Quadratmeter somit ausfüllend genutzt werden. (2)

Wenn man diese Sätze auf ihren Aussagekern reduziert, wird der Text um ein Drittel kürzer und dichter: Um den Platz bestmöglich zu nutzen, bieten immer mehr Firmen Einrichtungssysteme an, die sich individuellen Wünschen anpassen; ein Modul mit Schlafplatz und Wohnbereich kann beispielsweise einfach per Knopfdruck verrückt werden. […] Beim Micro-Living geht es in erster Linie um effizient genutzten Wohnraum in zentraler Lage. Doch auch die Kosten sind wichtig. Eine kleinere Wohnfläche bedeutet geringere Miet- und Baukosten. Durch Energieeffizienz verringern sich auch die Nebenkosten.

Pars pro Toto

Es geht also nicht darum, möglichst wortreich zu beschreiben, sondern Details zu finden, die ein Ganzes erzeugen. Voraussetzung dafür: keine willkürlichen Details wählen, die den Text ein bisschen möblieren, damit es nicht hallt. Es geht darum, das Kopfkino in Gang zu bringen. Der Schriftsteller Michael Ende hat dies die Technik des 'pars pro toto' genannt; ein Teil steht fürs Ganze. Er bezeichnete das Schreiben als eine Art umgekehrte Archäologie. Statt eine ganze Kultur aus dem Ornament auf einer Tonscherbe zu rekonstruieren, erfindet man ein Ornament, in dem sich das Ganze ausdrückt. So können Details mehr über Menschen, Situationen oder Orte sagen, als endlose Beschreibungen.

Details mit Bedeutung

Petra Ahne schreibt in einer kulturhistorischen Erkundung über die Bedeutung der „Hütte“: Er kann einem leidtun, dieser Adam. Ganz nackt steht er da, presst die Handflächen an die Schläfen, als könne er nicht fassen, was ihm passiert ist. Der Blick ist leicht nach oben gerichtet, vielleicht hofft er, dass der, der ihm das eingebrockt hat, es sich doch nochmal anders überlegt. Aber von oben kommt nicht die Stimme Gottes, sondern bloß Regen. Wahrscheinlich wird Adam in diesem Moment klar, was es bedeutet, aus dem Paradies geflogen zu sein. […] Adam muss etwas tun, er muss sich schützen vor dieser feindselig gewordenen Umgebung. Er braucht ein Haus. (3)

 

Auch hier haben wir, dieses Mal mit ironischem Unterton, einen Menschen mit einem Problem im Zentrum. Die Szenerie wird mit Schlaglichtern ausgeleuchtet: Hände, Blickrichtung, Regen. Das funktioniert, weil die Details sich direkt auf Adams Problem beziehen. In diesem Fall deutet die Autorin sie sogar für uns: Adam wurde vertrieben, er ist verzweifelt, er braucht ein Haus.

Sinnlichkeit nutzen

Meist braucht es solche Erklärungen jedoch nicht. Leser*innen können Details gut selbst deuten. Die Erwähnung von im Schnee knirschenden Schritten in einem Kreuzgang enthält bereits das ganze winterliche Kloster. Die Erwähnung von Neonlicht und Urinflecken an den Wänden einer Bahnhofsunterführung erzeugt die Vorstellung einer Gegend im sozialen Abstieg.

Wenn es um Details geht, fragen Sie sich also selbst: Welche sind für Ihr Thema bedeutsam? Welche lassen ein umfassendes Bild entstehen, ohne dass Sie es ausufernd beschreiben müssen? Werden Sie konkret, sinnlich und setzen nicht ausschließlich auf visuelle Reize (Neonlicht), sondern auch auf Gerüche (Urin), Geräusche (Schritte) oder Empfindungen (Kälte). Architektur lebt durch Licht, Raum, Temperatur, Resonanz, Oberflächen.

Geschichten mit Architektur

Schreiben über Architektur ist jedoch nicht immer zweckgerichtet, um Gelder aufzutreiben oder Kunden zu binden. Architektur steckt voller Geschichten, die unterhaltsam, ästhetisch befriedigend, inspirierend oder herausfordernd sein können.

Auf der Webseite des Louvre Abu Dhabi etwa findet sich derzeit ein akustisch-visuelles Hörspiel (5). Zu Bildern der Architektur mit seiner vielfach durchbrochenen Deckenkonstruktion wird in einer Szenenmontage über das Ende der Menschheit und ihr Vermächtnis einer neuen Zivilisation Künstlicher Intelligenzen erzählt. Es ist eine romantisch-philosophierende Geschichte, die zusammen mit den Bildern eine eigenartig hoffnungsvoll-melancholische Stimmung entfaltet. Auch die ARTE-Dokumentationsreihe „Verbotene Streifzüge – Architektur im Osten“ (6) erzeugt eine ambivalente Stimmung zwischen Verfall und Aufbruch.

Im Hörspiel wie im Film zeigen sich dieselben Prinzipien: Verbinden Sie Architektur mit Menschen. Seien Sie sich der Frage bewusst, auf die Sie eine Antwort suchen, und zeigen Sie die Lösung auf. Finden Sie die Story in Ihrem Thema, lassen Sie die Holzwolle weg und zeigen stattdessen Details, die mit wenigen Worten Lebenswelten entstehen lassen.

Karla Schmidt …

… ist Dramaturgin, Lektorin und Autorin. Sie hat die Romanwerkstatt-Lehrgänge der Schule des Schreibens konzipiert und hält die regelmäßige Webinar-Reihe „Live am Text“ ab. Mehr über Karla Schmidt auf ihrer Webseite: www.karla-schmidt.de

 

Quellen

derarchitektbda.de
schoener-wohnen.de
• Angelika Fitz / Elke Krasny / Architekturzentrum Wien (Hrsg.): Critical Care. Architecture and Urbanism for a Broken Planet.  The MIT Press, Wien, Cambridge, Massachusetts und London 2019
• Petra Ahne: Hütten. Obdach und Sehnsucht.  Naturkunden No. 53 herausgegeben von Judith Schalansky. Matthes & Seitz, Berlin 2019
Hörspiel von Wim Wenders u.a. im Louvre Abu Dhabi - We are not alone
ARTE-Dokureihe „Verbotene Streifzüge – Architektur im Osten“

Portrait Karla Schmidt
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