Im Interview: Foodjournalist Stevan Paul über die wichtigsten Details beim Kochen

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Ein Interview mit Foodjournalist und Buchautor Stevan Paul über die wichtigsten Details beim Kochen – Das Kochen begleitet Stevan Paul schon sein Leben lang – ein Glück für ihn und die anderen. Auch für uns. Denn im Gespräch macht er klar: Genuss ist vor allem Gesundheit und Glück. So wird aus einem Alltagsdetail ein großes Lebensgefühl. Darüber spricht Paul mit Leidenschaft und Humor.

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Herr Paul, wann begann Ihre Begeisterung fürs Kochen?

Es ist mein Glück, dass ich in einer Familie aufgewachsen bin, in der das Kochen und Genuss einen hohen Stellenwert hatten. Meine Eltern studierten noch, als ich zur Welt kam. Vom ersten Geld wurde die mittlerweile legendäre Buchreihe „Menü“ abonniert. Hier durften dann auch alle Kinder mitbestimmen und mitkochen, es wurden Länderküchen erforscht und Trends ausprobiert – mit Grausen erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an eine kurze, jedoch sehr intensive Grünkern-Phase in den späten 1980er-Jahren (lacht). Auch die Großmütter in Hessen und Norddeutschland kochten wunderbar, und in jeder Küche stand ein Barhocker für mich bereit, von dem aus ich alles beobachten und „helfen“ konnte.

instagram.com/stevanpaul.de

Kommen wir zur Detailliebe: Worauf kommt es beim Kochen an? Gibt es die eine wichtigste Kleinigkeit?

Eckart Witzigmann hat einmal gesagt: „Kochen ist die Summe kleinster Details von unendlicher Wichtigkeit.“ Für einen anderen großen Koch, den französischen Minimalisten Alain Ducasse, geht es beim Kochen schlicht um „das perfekte Produkt und das Wissen um die richtige Garzeit“. Mittlerweile glaube ich, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Tatsächlich sind es unzählige Details, die ein Gericht ausmachen: von Talent, Tagesform und Werkzeug über die Produktqualitäten bis hin zu Schnittformen und Gartechniken. Es geht aber auch darum, sich nicht verrückt zu machen, die Perfektion auch im Kleinen zu suchen. Ein wirklich gutes Produkt, eine Idee und fertig: die perfekt gereifte Tomate in Scheiben geschnitten, nur mit Salz gewürzt, kurz ziehen gelassen und mit bestem Olivenöl beträufelt – das ist schon ein Hochgenuss. Ein weiterer Genuss: in Butter gebratene Pilze, mit Salz … alles mit Parmesan und wenigen Tropfen Balsamessig bestückt wird das zum Erlebnis.

 

Was ist Ihr Lieblingsgericht, Ihre Lieblingszutat, Ihre Lieblingspfanne?

Frankfurter Grüne Sauce. Zu Tafelspitz. Zu hartgekochten Eiern. Zu Spargel. Oder zu richtig guten Kartoffeln. Das ist einfach (und) großartig! Meine Lieblingszutat ist die Zwiebel. Mit ihr fängt viel Gutes in der Küche an und der Geruch von in Butter geschmorten Zwiebeln ist mein allerliebster Küchengeruch. Eine Lieblingspfanne habe ich dagegen noch nicht entdeckt. Ich habe aber eine alte Sauteuse, die ich sehr liebe.

Gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen Kochen und Bauen?

Ich denke ja. Die Köchin oder der Koch erarbeitet ein Menü, schafft dabei eine wohldurchdachte Architektur des Geschmacks, die Form(en) des Abends. Zunächst ist das vor allem ein Ausdruck der Persönlichkeit, des Talents und der Kreativität – und doch eben auch dafür gemacht, andere Menschen zu begeistern, zu überraschen, zu inspirieren, bestenfalls zu berühren.

 

Wie „baut“ sich eine Speise auf dem Teller auf – konstruktiv, ästhetisch, geschmacklich?

Das Anrichten eines Tellers ist oft Ausdruck einer neuen Strömung, einer kulinarischen Philosophie und dabei häufig eng verknüpft mit einer zusätzlichen Funktionalität: Die Art des Anrichtens führt mitunter subtil durch die Geschmackswelt(en) eines Gerichts. Retrospektiv gesehen erlebten deutsche Teller erstmals in den 1970er-Jahren eine Modernisierung. Es wurde sorgfältiger und übersichtlicher angerichtet, dabei folgte man auch optisch der Auseinandersetzung mit einer neuen Küche. Die hungrige Völlerei der Wohlstandswunderjahre wandelte sich zum souveränen Genuss-Dining. In der Nouvelle Cuisine der 1980er-Jahre wurde überwiegend turmartig in der Tellermitte angerichtet – im Fokus stand die Gesamtkreation, die möglichst mit jedem Bissen in Gänze erfahrbar sein sollte. Seit ein paar Jahren geht das Essen in die Breite, essbare Landschaften ziehen sich über die Teller der Fine-Dining-Restaurants. Zwischen bauschigen Schwämmen, Sphären, Kugeln und Kuben schlängeln sich Kräuterwiesen und Saucenbäche durch getupfte Tropfen. Neben den verspielten Tellern der neueren Moderne erlebt zudem eine neue minimalistische Geschmacksküche mit wenigen ausgewählten Zutaten ihre Morgenröte. Das Vertrauen in den Eigengeschmack regionaler Produkte kehrt zurück, ökologisches Denken und der sorgsame Umgang mit den Ressourcen der Natur sind für die neue Generation eine Selbstverständlichkeit. In Folge dessen zeigen diese Präsentationen einen Gegenentwurf zu essbaren Landschafen: wenige Komponenten werden konzentrierter und minimalistischer inszeniert - nebeneinandergelegt oder getürmt. Es wird mit tiefen Schalen gearbeitet, die Saucen und Essenzen ebenfalls konzentriert im Zentrum halten. Auch hier spielen erneut funktionale Überlegungen mit: die Abkehr von gebundenen Saucen zugunsten eines konzentrierten Eigengeschmacks, bedingen Geschirr, auf dem die aromatischen Essenzen nicht wegfließen.

Aus der Reihe:

Detailliebe [#38] oder: Was ist Ihnen lieb und teuer?


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Bitte ergänzen Sie: Schlechtes Essen ist wie …

… vorsätzliche Körperverletzung (lacht). Ernsthaft: Es gibt bei uns, gerade auch in der Politik, immer noch ein Misstrauen gegenüber gelebtem Genuss, der oft als Dekadenz betrachtet wird. Dabei bedeutet Genuss vor allem auch eins: Gesundheit. Und Glück. Für Körper und Seele gleichermaßen. Ein Genuss, der schon mit den eingangs erwähnten, minimalen Rezepten seinen Anfang nehmen kann.

Wie sollte der Umgang mit Gewürzen aussehen, auf welche Details kommt es an?

Ein weites Feld! Grundsätzlich empfehle ich, Gewürze immer in möglichst kleinen Gebinden und lieber öfter frisch zu kaufen. Trockene Gewürze vertragen Hitze oft besser und länger, sie blühen beim Schmoren und Kochen erst so richtig auf, während frische Würzkräuter erst später und eher finalisierend eingesetzt werden sollten. Letztere kann man dann auch beklatschen (lacht), dabei schlüsselt man die Zellstruktur auf und die ätherischen Öle können entweichen - dann aber flott ins Essen damit! Und eine letzte Bitte: Kräuter niemals hacken. Auch nicht Petersilie. Kräuter immer fein schneiden. Gehackte Petersilie beispielsweise schmeckt schnell wie gemähter Rasen, frisch geschnittene Petersilie ist eine Offenbarung.

 

Bitte nennen Sie uns fünf No-Gos beim Kochen …

Stumpfe Messer, Lieblosigkeit, Selbstüberschätzung, zu viel Salz und zu wenig Salz.

 

… und fünf Must-haves …

Scharfe Messer, gute Produkte, Selbstbewusstsein, Aufmerksamkeit und gute Musik.

 

Wo stehen Sie jetzt, wo wollen Sie noch hin?

Ich koche jetzt seit 30 Jahren beruflich, als gelernter Koch in der Sternegastronomie zuerst, dann als Foodstylist und Redakteur und seit über zehn Jahren nun als Kochbuchautor und Foodjournalist. Ich habe für gutes Essen gekämpft und geschrieben, zahlreiche Kochbücher veröffentlicht. Dabei ist mir eines mit den Jahren immer wichtiger geworden: von der Freiheit und der Freude zu erzählen, die das Kochen uns schenkt. Wer kocht, ist selbstbestimmt. In einer Zeit, in der uns überall stetig erklärt wird was wir essen sollen, was wir essen müssen und keinesfalls mehr essen dürfen, ist mein aktuelles Buch „kochen.“ ein Plädoyer für mehr Individualität in der Küche. Mit Rezepten, die in kleine, frei kombinierbare Rezept-Elemente geteilt und neu kombiniert werden können, habe ich auch formal ein Mittel geschaffen, nicht nur einfach barrierefrei loszulegen, sondern sich vor allem auch seinen eigenen Geschmack zu erkochen. Dabei helfen zudem unzählige Varianten, Vorschläge und Tipps. Nur wer seinen eigenen Geschmack kennt, hat auch wirklich eine Wahl. Und wer tiefer in das Thema eintauchen will, findet in den Wissenstexten die Basis des Handwerks. „Kocht doch, was ihr wollt!“ war übrigens der wundervolle Arbeitstitel dieses neuen Standardwerks der Küche. Hier soll es für mich in meiner Arbeit auch in Zukunft weitergehen: anbieten statt vorbeten.

Stevan Paul …

… kommt vom Bodensee und lebt seit 25 Jahren in Hamburg. Der gelernte Koch arbeitet heute als freier Journalist für Magazine (u. a. Der Feinschmecker, Effilee, Mixology) sowie Tageszeitungen und ist Restaurantkritiker der Süddeutschen Zeitung. Er schrieb zwei Bücher mit kulinarischen Kurzgeschichten, den Koch-Roman „Der große Glander“ und ist Herausgeber der Anthologie „Die Philosophie des Kochens“. Seine literarischen Arbeiten sind im Hamburger mairisch Verlag erschienen. Der Autor zahlreicher Kochbuch-Bestseller legte jüngst mit „kochen.“ (Christian Brandstätter Verlag, 2019) ein neues Standardwerk der Küche vor. Paul führt zudem mit „NutriCulinary“ eines der meistgelesenen kulinarischen Online-Magazine im deutschsprachigen Raum.

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