In schrumpfenden Städten werden die Menschen weniger, aber der Freiraum wächst: Durch den Rückbau nutzlos gewordener Architektur entstehen neue Freiflächen. Leipzig beschreitet einen ungewöhnlichen Weg, was deren Gestaltung angeht. Anstelle von teuren Parkanlagen entstehen hier sogenannte urbane Wälder. Ob das Experiment funktioniert, wird – parallel zum Wachsen der Bäume – erforscht.
Um das Jahr 2000 herum wurde Leipzig in der Architekturszene als „perforierte Stadt“ bezeichnet. In den 10 Jahren nach der Wende hatten 18 Prozent der Bewohner die Stadt verlassen und Leipzig zählte nur noch 440.000 Einwohner. Dem Leerstand wurde – unter anderem – mit Abriss begegnet, um den damit zusammenhängenden Folgen wie Verwahrlosung und weiterem Attraktivitätsverlust Herr zu werden. Dieser Rückbau ließ größere Brachflächen entstehen. Doch was tun mit diesem frei gewordenen Raum, den keiner „braucht“ und für dessen Gestaltung und Pflege (!) nur sehr begrenzte Mittel da sind?
Nach der Jahrtausendwende formte sich eine Idee, die das räumliche Füllen dieser Flächen, Umwelt- und Naturschutz-aspekte zusammenbrachte: urbane Wälder. Die Aufforstung bzw. Umwandlung städtischer Brachflächen zu Wald gab es so noch nicht, Erfahrungen fehlten. Deshalb untersucht die Stadt auf drei Modellflächen die Entwicklung Urbaner Wälder. Parallel begleitet die TU Dresden das Projekt aus wissenschaftlicher Sicht, generiert übertragbare Empfehlungen und lotet Chancen und Grenzen der urbanen Wälder aus.
In einer Voruntersuchung ermittelte man insgesamt 10 Flächen mit ca. 30 ha Brachfläche. Auf zweien davon wächst nun Wald, eine dritte Fläche wird gerade aufgeforstet. Die neue Kategorie „Urbaner Wald“ soll einiges leisten: Klima und Luft in der Stadt verbessern, Erholungsangebot für das Wohnumfeld bieten, die Biodiversität in der Stadt erhöhen und nicht zuletzt die (ehemaligen) Brachflächen wieder in Wert setzen.
Aus diesen ersten Erfahrungen lernt man: Auf der neuesten Fläche, dem ehemaligen Güterbahnhof Plagwitz, entstehen nun Nutzungen mit abgestufter Intensität. Am Rande des eigentlichen urbanen Waldes mit Eichen wachsen Obstbäume, die von Quartierbewohnern gepflegt werden. Nahe der angrenzenden Wohnbebauung gibt es Bürgergärten, andere Urban-Gardening- sowie Freizeitangebote. Ungefähr ein Drittel der Gesamtfläche wird sich selbst überlassen, hier wachsen spezielle Arten an für den Naturschutz wichtigen Standorten. Denn wie die Befragungen gezeigt haben, wünscht sich die Bevölkerung eine bessere Pflege und Nutzbarkeit der Flächen. Wildnis ist schön – aber die Identifikation ist höher, wenn die Nutzer selbst einbezogen werden.
Freiraum ist also immer auch eine Herausforderung – ihn mit einem Experiment zu füllen die vielleicht mutigste und kreativste Art. Nutzbar machen und gestalten, gleichzeitig Freiraum lassen für das Wachsen von Ideen (und Bäumen) – das Leipziger Experiment lohnt, dies zu verfolgen.
Text: Katharina Kunze
Foto: Karl-Heine-Holz