Renaissance und Moderne: der Palazzo Contarini Polignac in Venedig

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Der Palazzo Contarini Polignac in Venedig

Der um 1490 vollendete Palazzo Contarini ist einer der ersten Renaissance-Paläste Venedigs und steht damit am Beginn einer für die Lagunenstadt damals neuen, von toskanischen Vorbildern geprägten Baukultur. Ihr wichtigster Fürsprecher war Andrea Gritti, der als regierender Doge den Anschluss der Serenissima an die „Wiedergeburt“ (frz. renaissance) eines an der Antike orientierten Geistes und einer den Prinzipien des Ebenmaßes und der Zurückhaltung folgenden Gestaltung betrieb.

Obwohl der Palazzo Contarini den großen Renaissance-Bauten Pisas, Luccas und Florenz’ nicht nachsteht, kennen wir weder seinen Architekten noch den Bauherrn, der ihn in Auftrag gab. Weil er mit seinen antikisierenden Schmuckformen, seinen fassadengliedernden Rundbögen, Medaillons und ionischen und korinthischen Säulen und Pilastern signifikante Ähnlichkeiten zu den zeitgleich errichteten Kirchen Santa Maria dei Miracoli (1489) und San Zaccaria (1490) aufweist, halten einige Historiker deren Architekten Pietro Lombardo und Mauro Codussi für die Entwerfer auch des Palazzo Contarini. Zweifelsfrei dokumentiert ist allerdings lediglich die Beteiligung des aus Lugano stammenden Steinmetzes Giovanni Antonio Buora.

Bettina Rudhof, Architekturhistorikerin und Ausstellungsmacherin, ist tätig am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe Universität in Frankfurt am Main. Sie hat zahlreiche Publikationen zu design- und architekturhistorischen Themen veröffentlicht.

Florenz und Venedig 

Seinen Namen hat der Prachtbau am Canal Grande von der noblen Familie der Contarini erhalten, die ihn kurz nach seiner Fertigstellung erwarb. Die Familie stellte im Lauf der Jahrhunderte nicht weniger als acht Dogen und besaß in Venedig noch mehrere andere Paläste.
1783 verkauften die Contarinis das Bauwerk an den Seidenhändler Domenico Manzoni aus Bergamo. Nach weiteren Besitzerwechseln wurde der Palast im 19. Jahrhundert zum Sitz der städtischen Feuerwache, bevor er im Jahr 1900 von der amerikanischen Fabrikantenerbin Winnaretta Singer erworben wurde, die ihn ihrem Ehemann, dem Prinzen Edmond de Polignac, zum Geschenk machte. Nach ihrem Tod im Jahr 1943 ging der jetzt Contarini Polignac benannte Palazzo an ihre Nichte über,  deren Familie ihn noch heute besitzt und im Jahr 2004 seine sorgfältige Restaurierung in Auftrag gab.

Wohlproportioniert präsentiert sich der dreigeschossige Palast mit seiner achsensymmetrischen, mit hellen beige und grau geäderten Marmorplatten verkleideten und eindrucksvoll gerahmten Schaufassade. Während die Sockelzone mit einer Plattenrustika verkleidet ist und einem darüber liegenden breiten Flechtband abgeschlossen wird, wird die Fassade an den beiden Seiten von Pfeilerpilastern mit ionischen und korinthischen Kapitellen und aufsteigend verfeinernder Reliefierung gefasst. Malerisch tritt das rote Porphyrband des Kranzgesimses mit seinen weißen Marmorkonsolen hervor und bildet dergestalt eine feine und gleichwohl auffällige Horizontale. Mit fünf bodengleichen und säulenflankierten Rundbogenfenstern öffnet sich das Piano nobile als höchstes Geschoss des Baus glanzvoll zum Canal Grande. Gesimse mit Volutenkonsolen rahmen die reich geschmückten Brüstungsfriese, Medaillons aus rotem Porphyr und grünem Marmor komplettieren das edle Dekor.

Weil sich der Palazzo Contarini (rechte Seite) und die zeitgleich errichteten Kirchen Santa Maria dei Miracoli (1489) und San Zaccaria (1490) in ihren antikisierenden Schmuckformen und ihren Rundbögen, Säulen und Medaillons signifikant ähneln, halten einige Historiker deren Architekten Pietro Lombardo und Mauro Codussi für die Entwerfer auch des Palastes.

Links: Kirche San Zaccaria, 1490, Architekt: Mauro Codussi
Rechts: Kirche Santa Maria dei Miracoli, 1481–1489,
Architekt: Pietro Lombardo

Der Palazzo Contarini Polignac in Venedig
Nicht nur, dass er wie ein Märchenpalast wirkt, einige Episoden, die sich um die lange und schillernde Nutzungsgeschichte des venezianischen Palazzo Contarini und seine wechselnden Besitzer ranken, klingen märchenhaft und haben sich doch so ereignet. Foto: Wolfgang Moroder

Im 17. Jahrhundert wurden dem Bau zwei von Balustern umstandene Balkone angefügt. Bei näherer Betrachtung offenbart sich die ausgewogene Proportionierung der Palastfassade, bei der die Pilaster als vertikale Trennlinien wirksam werden. Von den passend gruppierten Fenstern unterstützt, gliedern diese Linien die Geschossfelder in einer kleinteiligen Rahmung und heben optisch zugleich die beiden Seitenrisalite heraus. Lässt sich der so entwickelte Fassadenrhythmus a-b-a schon mit dem bloßen Auge gut erkennen, offenbart ein genaues Aufmaß in der Fügung des Mittelrisalits zu den Seitenteilen das der Harmonie des Goldenen Schnitts entsprechende Maßverhältnis 8:5 (Schema 1). Streng regelgemäß komponiert ist dann auch die Unterteilung der Fassade in sieben gleich große hochrechteckige Felder (Schema 2). Ebenfalls nach dem Goldenen Schnitt sind schließlich das Maßverhältnis der geschossweisen Mittelteile zu den seitlichen Geschossfeldern (Schema 3) und das in einem liegenden Rechteck zu fassende Maßverhältnis der mittelachsial platzierten fünfbogigen Fenster (Schema 4).

„Architektur ist Harmonie und Einklang aller Teile, die so erreicht wird, dass nichts weggenommen, zugefügt oder verändert werden könnte, ohne das Ganze zu zerstören.“
Leon Battista Alberti, 1452, De re aedificatoria

„Überall um uns herum waren Tauben und ich zuckte ängstlich! Das Foto entstand kurz vor dem Moment, als sie sich entschlossen hatten von uns abzulassen.“ Alice Monet, Venedig, 6.10.1908 Als Claude und Alice Monet am 30. September 1908 in Venedig ankamen, überwältigte sie die Lichtstimmung in der Lagunenstadt. In einem der ersten Briefe verrät Alice ihrer Tochter Germaine, dass ihr Mann daran zweifle, hier malen zu können, „weil es ihm wohl nicht gelingen werde die herrlichen, wie Perlmutt schimmernden Sonnenuntergänge auf Gemälden wiedergeben zu können.“ Und Claude Monet selbst notierte: „… Ich fühle mich we im Traum – wie schön das ist – zu schön, um gemalt zu werden!“ Und so wollte er bereits wenige Tage später die Heimreise antreten. Doch das Ehepaar Monet blieb sechs Wochen in Venedig. Sie wohnten zunächst im Palazzo Barbaro bei ihrer Bekannten Mary Hunter, später dann im Hotel Britannia.

Der Palazzo Contarini Polignac in Venedig
Der Palazzo Contarini Polignac in Venedig

Bereits zwei Wochen nach ihrer Ankunft war der Künstler in seine Arbeit vertieft. Frühmorgens schon stand er bepackt mit gerollten Papieren, einer Holzplatte und einem Koffer mit Ölkreiden am Canal Grande, um sich eine überdachte Gondel zu mieten, auf der er auch bei Regen weiterarbeiten konnte. Erste Skizzen entstanden. In der dritten Woche arbeitete er bereits an mehreren Gemälden gleichzeitig, die er aber lediglich als „Entwürfe“ bezeichnete. Dank der Briefesammlung von Alice, die die Arbeit ihres Mannes enthusiastisch und stets mit warmherzigem Humor begleitete, wissen wir, dass er an einem nebligen Tag, dem 9. November, mit den Gemälden des Palazzo Contarini Polignac begann und dass er noch am 21. November an ihnen arbeitete.

Zur genaueren Datierung seiner Fertigung gibt uns auch der Kunsthistoriker Franz Zelger einen entscheidenden Hinweis, wenn er bemerkt, dass „der rote Stoff auf dem unteren Balkon wohl dazu diente, dass Bewohner und Gäste des Palazzos ihre Arme auf die Balustrade abstützen konnten, wenn sie das Treiben auf dem Canal Grande beobachteten. Das Polster steht auf dem vorliegenden Bild möglicherweise im Zusammenhang mit dem Fest von Santa Maria della Salute. Dieses fiel in die Zeitspanne von Monets Aufenthalt in der Serenissima. Es wird bis heute im Gedenken an das Ende der Pest in Venedig von 1631 am 21. November gefeiert.“ Als Alice und Claude Monet am 7. Dezember 1908 im Zug nach Bordighera sitzen, um von dort weiter nach Paris zu reisen, sind 37 Gemälde fertiggestellt, die insgesamt acht Motive zeigen. Zwei dieser Gemälde zeigen den Palazzo Contarini Polignac. Und Monet notiert: „Zum Glück haben wir die Bilder, die uns beweisen, dass es kein Traum war und dass wir wiederkommen werden!“ Eines der Gemälde (links) wechselte im Jahr 2013 für 19.682.500 Britische Pfund, das entspricht 26.808.155,48 Euro, bei Sotheby’s den Besitzer.

Der Palazzo Contarini Polignac in Venedig

Handel und Kunst

In der Strenge und Genauigkeit seiner Komposition realisiert der Palazzo Contarini Polignac die Maxime des berühmten Florentiner Baumeisters Leon Battista Alberti, für den sich die Architektur der Renaissance durch „Harmonie und Einklang aller Teile“ auszuzeichnen hatte, „die so erreicht wird, dass nichts weggenommen, zugefügt oder verändert werden könnte, ohne das Ganze zu zerstören.“ So braucht die Schaufassade des Renaissance–Baus am Canal Grande den Vergleich mit den toskanischen Palästen der Strozzi, der Pitti und der Medici nicht zu scheuen, auch mit dem von Alberti selbst geplanten Palazzo Rucellai oder dem von Bernardo Rosselino entworfenen Palazzo Piccolomini nicht (siehe Abbildungen unten).

Die im Palazzo Contarini Polignac begonnene vene-zianische Adaption des toskanischdekorativen Stils vollendet sich 1570 mit der Errichtung des Palazzo Giustinian-Querini, dem dann imposante Bauten der Spätrenaissance wie der von Jacopo Sansovino entworfene Palazzo Corner della Ca Grande und der von Michele Sanmichele entworfene Palazzo Grimani di San Luca folgen werden. Der entlang ausgewogener Proportionen gestaltete Plan Albertis für den Florentiner Palazzo Rucellai weist, ebenso wie der vom Architekten Bernardo Rosselino entworfene Palazzo Piccolomini, große Ähnlichkeit mit der Schaufassade des Palazzo Contarini Polignac auf.

Der Palazzo Contarini Polignac in Venedig
Palazzo Rucellai, Entwurf um 1450 von Leon Battista Alberti in Florenz
Der Palazzo Contarini Polignac in Venedig
Palazzo Piccolomini in Pienza, 1462, Bernardo Rosselino

Mit den Palästen der Toskana sind die Paläste Venedigs auch insoweit verbunden, als ihre Erbauer und Besitzer wohlhabenden Händlerfamilien entstammten, die zu politischer Macht aufgestiegen waren. So ähneln der Aufbau und die Raumfolge im Innern des Palastes Contarini Polignac denen der meisten Wohn- und Geschäftsbauten am Canal Grande, die zugleich als prunkvoller Wohnsitz, als geschäftiges Handelskontor und in beidem als gediegener Repräsentationsbau dienten. Um den schwankenden Pegelständen des Kanals entsprechen zu können, wurde das untenliegende, vor allem der Warenannahme und -ausgabe dienende Wassergeschoss offen angelegt. Vom Bootsanleger gelangten die Lieferanten durch das große Kreisbogenportal – die sogenannte porta d‘acqua – über vier Stufen hinauf in die Halle, an deren Seiten die Warenlager und die Küche lagen.

An der dem Kanal abgewandten Hallenseite liegt das Treppenhaus, von dem man in das den Bewohnern vorbehaltene Piano nobile gelangte. Dessen große, längsrechteckige Sala nimmt die ganze Tiefe des Palastes ein und öffnet sich über die großen Rundbogenfenster und den Balkon zum Wasser hin. In der Sala fand das gesellschaftliche Leben statt, während die privaten Räume der Bewohner in den Seitenflügeln untergebracht waren.

Vom Bootsanleger am Canal gelangten die Lieferanten durch das große Kreisbogenportal (die porta d`acqua) in die Halle, an deren Seiten die Warenlager und die Küche liegen.

Neuen Glanz erfuhren beide, als der zwischenzeitlich als Sitz der venezianischen Feuerwache genutzte Palast im ersten Jahr des 20. Jahrhunderts in den Besitz der Winnaretta Singer und ihres Ehemannes Edmond gelangte, die ihn als Prinz und Prinzessin de Polignac bezogen. Ihr Vater war niemand anderer als der Nähmaschinenmagnat Isaac Singer. In New York, London und Paris aufgewachsen, hatte die spätere Prinzessin de Polignac Malerei und Musik studiert, der einem alten französischen Adelsgeschlecht entstammende Edmond de Polignac war Komponist. Kennengelernt hatte sich das Paar in Paris.

Nach ihrer Heirat bezogen sie eine Wohnung in der Avenue Georges Mandel, die sich bald zum einflussreichen Zentrum der künstlerischen Avantgarde der Seine- Metropole  entwickelte. Im Salon der Polignacs verkehrten neben bekannten Malern, Bildhauern und Tänzerinnen die Schriftsteller Marcel Proust und Joris-Karl Huysmans sowie die Musiker Igor Strawinsky, Maurice Ravel und Eric Satie. Im Frühjahr 1900 reist das Paar mit Freunden nach Venedig. Überwältigt von der Pracht seiner Paläste, überrascht Winnaretta de Polignac ihren Mann an dessen Geburtstag, indem sie ihm den Palazzo Contarini zum Geschenk macht. In den folgenden Jahren wurde der Gründungsbau der Venezianer Renaissance zum offenen Haus für Literaten, Musiker und Künstler.

Glanzvoll öffnet sich das Piano Nobile, als das höchste Geschoss, zum Canal Grande mit fünf fast bodengleichen Rundbogenfenstern.

Am 19. April des Jahres, feierte das Paar im feinen Café Florian am Markusplatz Edmonds sechsundsechzigsten Geburtstag, als Winnaretta ihren Mann und die Gäste mit der Nachricht überraschte, sie habe gerade einen Palast am Canal Grande erworben, den sie ihm zum Geschenk machen wolle: den Palazzo Contarini, der seither den Namen Contarini Polignac trägt.

Winnaretta und Edmond Singer
Winnaretta Singer

Winnaretta Singer, 1865–1943

Sie war das 18. Kind Isaac Merritt Singers, des damals größten Nähmaschinenproduzenten der Welt, der Vater von 24 Kindern aus Beziehungen zu fünf Frauen war. Das Erbe gab ihr die Möglichkeit, zu einer der wichtigsten Kunstmäzeninnen zu werden. Mit 29 Jahren heiratete sie Edmond de Polignac – eine Ehe mit getrennten Betten, denn sowohl Winnaretta als auch ihr Mann waren homosexell. Ihre gemeinsame Leidenschaft war die Musik, die sie bis zu Edmonds Tod acht Jahre später teilten.

Bettina Rudhof

Bildarchiv des Kunstgeschichtlichen Instituts der Goethe-Universität Frankfurt am Main

www.palazzocontarinipolignac.com

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