Gegen den malerischen Heimatstil – Landschaftsarchitektur von Ernst Cramer

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Gegen den malerischen Heimatstil

Zeit des Öko-Dogmas ist in der Gartenarchitektur passé – Rückschau auf Ernst Cramer

Die Szenerie ist surrealistisch: fast traumwandlerisch bewegt sich das Publikum durch ein landschaftsarchitektonisch konzipiertes, knapp fünf Hektar großes Bühnenbild aus langgestreckten, bis zu acht Meter hohen Rasenpyramiden.

Aus Zuschauern werden Protagonisten, die in geometrisch geformten Erdfaltungen verschwinden, Stufenpyramiden erkunden oder den Schatten kleiner Baumgruppen genießen, um in Ruhe die bewegte Verdoppelung der abstrakten Szene auf dem Wasserspiegel des Waldweihers zu beobachten. Über der futuristischen Landschaft liegt der Klangteppich des 21. Jahrhunderts: sphärische Musik, das Geplauder der Besucher und zuweilen die heulenden Turbinen eines startenden Flugzeuges.

»Sie […] bringen eine vollkommen neue Landschaft, Sie erzeugen ein Raumgefühl, das ich bisher unter freien Himmel noch nie empfunden habe. Sie beweisen, dass mit klugem Geist und genauer Handhabe des Handwerkes, mit dem kostbaren Material Erde nicht unbedingt so geschaffen werden muss, wie dies die Kräfte der Naturelemente tun. Sie schaffen nicht die Imitation einer natürlichen Gegebenheit, sondern Sie erzeugen ein Werk, wie wir abstrakten Maler und Bildhauer dies mit konkreten Mitteln seit Jahren versuchen.« Dieser begeisterte Brief von Hans Fischli hätte zweifellos dem »Berggarten« an der Internationalen Gartenschau 2000 in Graz gelten können. Doch der damalige Direktor der Kunstgewerbeschule Zürich würdigte 1959 ein kongeniales Werk des Gartenarchitekten Zürcher Ernst Cramer an der Ersten Schweizerischen Gartenbau-Ausstellung.

Abstraktes Konzept einer Gartenlandschaft

Der temporäre »Garten des Poeten« an der G|59, eine abstrakte, temporäre Komposition aus vier Rasenpyramiden, einem gestuften Erdkegel und einem flachen, rechteckigen Wasserspiegel mit einer Eisenplastik von Bernhard Luginbühl gilt als Vorläufer des »Berggartens« der Zürcher Landschaftsarchitekten Kienast, Vogt und Partner. Die abstrakte Grundkonzeption dieses Gartens, der Verzicht auf vordergründig dekorative Elemente, die Verwendung des modernen Baustoffes Beton und die streng geometrisch geformten Grundelemente sorgten für erhebliches Aufsehen in der eigenen Profession, die überwiegend noch einer traditionellen, malerischen Gartengestaltung im Heimatstil verhaftet war. Cramer hingegen bekannte sich deutlich zum Garten als von Menschen gemachtes Kunstwerk, und stieß mit seiner architektonischen Garten – und Landschaftsgestaltung vor allem bei modernen Künstlern und Architekten auf äußerst positive Resonanz, was schließlich zu seinem internationalen Ruf als Avantgardist in der Gartenarchitektur beitrug.

Gegen den malerischen Heimatstil
Gegen den malerischen Heimatstil

Begehbare Skulpturen, radikale Experimente

Elizabeth B. Kassler, renommierte Kunstexpertin am Museum of Modern Art in New York publizierte Cramers Garten des Poeten 1964 in ihrem Standardwerk »Modern Gardens and the Landscape« und bezeichnete das Werk als eine abstrakte begehbare Skulptur. Jahre später machten junge amerikanische Künstler mit radikalen Experimenten unter der Überschrift »Earthworks« oder »Land Art« Furore und bedienten sich teilweise ähnlicher gestalterischer Strategien wie der Zürcher Gartenarchitekt. Bis heute gelten sowohl die Experimente Ernst Cramers als auch die amerikanische Landschaftskunst als wichtige Inspirationsquellen aktueller Landschaftsarchitektur, denn diese ist nach dem Ende des Dogmas rein ökologisch orientierter, den Menschen oft ausschließender Umweltgestaltung neuerdings auf der Suche nach einer zeitgemäßen gestalterischen Sprache, mit der man wieder alle Sinne des Menschen anspricht und seine Sensibilität für die gebaute und natürliche Umwelt steigert.

Natürlichkeit und Architektur im Dialog

Kienast Vogt und Partner griffen Cramers Ideen aber nicht nur auf, sondern entwickelten dessen radikale Gestaltungsansätze in den folgenden Jahrzehnten konsequent weiter und sorgten damit auch in der Praxis für eine Fortschreibung der Gartenarchitekturgeschichte. Waren Cramers Erdkörper noch freistehende Einzelbauwerke, wurde in Graz aus 29.000 Kubikmetern Erdmasse eine artifizielle, begehbare Bodenskulptur geschaffen, in die der vorhandene Baubestand zwanglos integriert wurde. Der Dialog zwischen Natürlichkeit und architektonischer Grundkonzeption, ein Stilmerkmal der Projekte von Kienast, Vogt und Partner, kommt auch am Waldweiher zustande. Er wurde in eine geometrische Grundform gefügt, ist zugleich Reflexionsbecken und Lebensraum und ergänzt das Vexierbild aus Kunst und Natur. Um dem Bedürfnis der Gartenschaubesucher nach Duft und Farbe dennoch entgegenzukommen, und um eine allzu strenge Monotonie der Rasenlandschaft zu vermeiden, bepflanzten die Landschaftsarchitekten einzelne Pyramidenflächen einheitlich mit jeweils unterschiedlichen Sträuchern. Blüten- und Blattschmuckstauden. Dichternarzissen, Blausterne, Lavendel, Frauenmantel, Efeu und Zwerg-Bambus, teilweise in Mustern gesetzt, sollen das ganze Jahr über für unterschiedlichste Blühereignisse sorgen. An anderer Stelle entstand aus großen, bruchrauen Kalkblöcken eine fast 1.000 Quadratmeter große, leicht geneigte Fläche, auf der trockenheitsresistente und wärmeliebende Pflanzen ihren bevorzugten Standort gefunden haben. Die traditionelle Form des Alpinums fand so zu einer neuen, zeitgemäßen Interpretation.

Klare Absage an die Nachahmung der Natur

Dieter Kienast, der bereits 1998 im Alter von 53 Jahren starb, schätzte Ernst Cramers moderne, visionäre Landschaften, denn dieser brach an der G|59 nicht nur mutig mit der eigenen Vergangenheit, sondern erteilte auch den Konventionen der traditionellen, Natur nachahmenden Gartengestaltung eine unmissverständliche Absage und lieferte einen wertvollen Impuls zur Erneuerung der Gartenkultur, weil er sich offen zum Garten als künstlerische Ausdrucksform der Gegenwart bekannte. Gerade heute, wo sich Kunst, Architektur und Landschaftsarchitektur miteinander verbinden um eine ästhetisch anspruchsvolle, ganzheitliche Umweltgestaltung zu entwickeln, wirken Cramers frühe Experimente im Grenzland zwischen den gestaltenden Disziplinen schon fast wieder visionär und inspirieren heute selbst die junge Generation von Landschaftsarchitekten zu neuen Experimenten.

Text: Dr. Udo Weilacher, Landschaftsarchitekt, Zürich, befasst sich seit 15 Jahren wissenschaftlich mit den Ideen Ernst Cramers.

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