Inszenieren – Der Spagat zwischen Rolle und Ich

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Inszenieren – Der Spagat zwischen Rolle und Ich

Inszenieren heißt faszinieren und ist faszinierend. Inszenieren ist fliegen, schweben, abheben. Dabei für ausreichend Bodenhaftung zu sorgen, ist vielleicht paradoxerweise eines der wichtigsten Ziel jeder Inszenierung.

Unser theatralischer Alltag

Das Wort Inszenieren und ihm direkt verwandte Begriffe haben sich längst vom Kontext der Musentempel gelöst und begleiten in allerlei Kombinationen die Verbalisierung unseres schnöden Alltags. Wir inszenieren unseren Auftritt beim Kunden, bei Freunden, am Strand oder in der Disco. Wir können Skandale, Randale oder Versöhnungen inszenieren und überhaupt all die Rituale, mit denen wir uns selbst und den anderen tagtäglich beweisen, dass wir auch wirklich wir selbst sind. Wir legen oft große Szenen hin, wenn wir doch nur Geringes erreichen wollen, oder vermeiden jede Theatralik, wenn es um Kopf und Kragen geht.
Wenn wir uns vor den Inszenierungen der anderen schützen wollen, fordern wir sie auf, kein Theater zu machen und machen selbst welches, sobald wir uns ungerecht behandelt fühlen. Wenn wir etwas erreichen wollen, das wir mit unseren normalen Ausdrucksmitteln für unerreichbar halten, schauspielern wir unserem Gegenüber etwas vor, oder wir fordern andere auf, nicht so schau zu spielen, wenn wir ihnen die Tiefe ihrer Emotionen nicht glauben oder glauben wollen. Dann sagen wir: mach nicht so ein Drama! Sei kein Clown! Du bist nicht komisch! Wir spenden Applaus, täglich, ehrlichen und falschen, von Herzen oder aus schierer Bosheit. Und wenn wir schließlich sterben, dann fällt für uns der letzte Vorhang.

Das Ich und die Rolle

Den in einem mathematisch absoluten Sinne authentischen Menschen gibt es vermutlich gar nicht. Immer und überall spielen wir Rollen – solche, in denen wir uns selbst am liebsten sehen (oder sähen), und solche, die andere von uns erwarten, oder auch nicht erwarten – in diesen Fällen gelingt uns ein Überraschungsmoment. Ja, nicht einmal der Authentizität unseres eigenen, von uns selbst wahrgenommenen Ichs können wir sicher sein. Wir alle befinden uns permanent auf der Bühne. Im selben Moment, wo wir glauben, sie verlassen zu haben, stehen wir bereits auf der nächsten. Und haben wir uns für einen Moment erfolgreich der Beobachtung durch Zuschauer entzogen, so werden wir selbst unsere eigenen, vielleicht kritischsten, Beobachter. Nicht einmal wenn wir uns vollkommen alleine wähnen, in einer Umkleidekabine meinetwegen, oder auf der Toilette, beim Flug mit dem Paraglider oder alleine in einer Steilwand, entkommen wir dem Kampf, der Balance, dem Hin und Her zwischen Authentizität und Inszenierung, zwischen der Rolle und dem Ich.

Neue Werte

Dies um so mehr in unserer heutigen Gesellschaft, deren Motto zunehmend lautet: Form statt Inhalt! Solange unser Handeln und unser Konsumverhalten darauf abzielt, in erster Linie authentische, also primäre körperliche und spirituelle Bedürfnisse zu befriedigen wie Hunger, Durst, Gesundheit, Vertrauen, Solidarität, Glauben etc., solange konnten wir es uns leisten, uns weitgehend so zu geben, wie wir waren. Das Ich war wichtiger als die Rollen, die wir uns und anderen vorgaukeln konnten oder wollten. Heute aber, im Zeitalter der Spaßgesellschaft, da unsere authentischen Bedürfnisse weitgehend gesättigt sind und wir es uns leisten können, den emotionalen Nebennutzen von Produkten und Dienstleistungen über deren primären Nutzen zu stellen, nun also, da wir statt unseres Hungers unseren Gourmetgaumen zufrieden stellen wollen, da wir an Handelsmarken glauben statt an Götter, da uns unsere Eitelkeit vor die Solidarität mit anderen geht, da uns Geld und Wohlstand als höchste aller Wertvorstellungen erscheinen, da bestimmt nicht mehr das Sein das Bewusstsein, sondern der Schein, der Glanz, die Inszenierung. Ein Hoch auf das Styling! Form statt Inhalt!

Inszenieren – Der Spagat zwischen Rolle und Ich
Inszenieren – Der Spagat zwischen Rolle und Ich

Was ist eigentlich eine Inszenierung?

Inszenieren heißt, mehrere, oft sehr heterogene Elemente, Faktoren und Einzelleistungen zu einer Gesamtperformance zu orchestrieren – und dies mit einem exakt kalkulierten, möglichst garantierten Wirkungserfolg. In der Regel sind es künstlerische (d.h. persönlich-emotionale), technische und ökonomische Faktoren, die unter einen Hut gebracht werden und am Ende möglichst nahtlos ineinander greifen müssen. Nachdem man dabei in den meisten Fällen nicht alle Faktoren und Anforderungen optimal bedienen kann, sondern immer im einen oder anderen Bereich Abstriche machen muss, damit ein Maximum an Kompatibilität erreicht wird, ist eine Inszenierung auch immer ein Kompromiss, im Idealfall der relativ beste.

Inszenieren heißt Führen

Inszenieren heißt führen. Inszenieren ist Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle. Sekundengenau, zielgerichtet, mit kalkuliertem und vernünftigem Mitteleinsatz. Inszenieren heißt, Menschen und/oder Situationen komplex zu verstehen und sie in die Inszenierung hineinzuführen. Dementsprechend hängt der Verlauf einer Inszenierung weitgehend vom Führungsstil des Regisseurs bzw. des Projektleiters ab – mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen.
Pflegt z.B. ein Theater-Regisseur einen diktatorischen Stil, der nichts anderes zulässt als seine eigenen konzeptionellen und ästhetischen Vorstellungen, so wird er – vorausgesetzt, er versteht seinen Job – ein sehr harmonisches, in sich stimmiges Ergebnis erzielen. Das Publikum wird sagen, die Inszenierung sei wirklich aus einem Guss. Dabei riskiert er allerdings, dass die Leistung der Schauspieler, denen er wenig bis keinen Raum zu eigener Entfaltung eingeräumt hat, unter ihrem möglichen Niveau bleibt, da ihnen die Identifikation mit dem Gesamtkunstwerk fehlt. Auf der Bühne werden sich im schlimmsten Fall lauter Miniatur-Abbilder des Regisseurs bewegen, die, wie von ihm an einer unsichtbaren Strippe gezogen, eher technisch funktionieren statt emotional zu agieren und zu reagieren. Der Regisseur hat eine nature morte inszeniert. Dafür hat er die Sicherheit, die volle Verantwortung für das Ergebnis seiner ureigensten Leistung übernehmen zu können – und er bedient seine künstlerische Eitelkeit und Monomanie, er ist, wie Apollinaire sagte, Dio creatore, Gott und Schöpfer seiner eigenen Kunstwelt. Ganz anders der kooperative, vielleicht sogar demokratische Regisseur. Er wird im Idealfall ein tableau vivant mit erfrischenden Stilbrüchen inszenieren, oder besser: zulassen. Es wird vielleicht nicht aus einem Guss sein, man riecht förmlich die Vielzahl der Köche. Aber seine Schauspieler werden ihre eigenen Fähigkeiten, ihre Ideen, ihre Eigenheiten und ihre Spielfreude in die Waagschale werfen. Dieser Regisseur wird seine Zufriedenheit darin finden, ein kreatives und letztlich ebenso erfolgreiches Miteinander unterschiedlichster Charaktere und Vorstellungen sanft, und unter Berücksichtigung der beteiligten Individualismen eher moderiert zu haben denn inszeniert oder gar diktiert. Er darf sich in seiner integrativen Leistung baden. Gott zu spielen ist ihm so fern wie die Ewigkeit.
Welcher Stil nun – abgesehen davon, dass es zwischen den geschilderten Extrempositionen noch eine ganze Reihe von Schattierungen gibt – der bessere ist, das vermag wohl keiner zu sagen. Während unser erster Künstler eher mit dem Impuls und der Motivlage eines Allmachtlüsternen Modelleisenbahners oder Westentaschen-tyrannen agiert, wird der zweite von einem – manchmal sicher auch zu dominanten – Sozial- und Integrationstick getrieben, der es jedem recht machen möchte. Die Entscheidung über gut und schlecht liegt hier gerechterweise allein beim Markt. Und der interessiert sich im Normalfall genauso wenig dafür, wie ein Kunststück zustande gekommen ist, wie ihn etwa interessiert, wer einen indischen Teppich geknüpft hat. Der Markt ist auch hier auf ungerechte Weise gerecht.
Der beste Menschen-Führer ist wahrscheinlich der, der die Gunst des jeweiligen Moments zu nutzen vermag, dem es gelingt einem Team und/ oder einer Situation die Führung zu geben, die es, je nach Stadium der Team- und Situationsentwicklung, gerade – bewusst oder unbewusst – verlangt oder benötigt.

Inszenieren – Der Spagat zwischen Rolle und Ich

Inszenieren ist kein Selbstzweck

Eine professionelle Inszenierung – so sie denn für eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit bestimmt ist –, erfüllt zahlreiche Anforderungen:

Sie muss technisch umsetzbar sein.

Dabei erzeugt es immer kreative Spannung, wenn die Latte der Machbarkeit möglichst hoch angelegt wird. Dann entsteht Innovation, dann bedeutet eine Inszenierung gegenüber der vorhergehenden einen Fortschritt. Das wiederum fördert die Motivation und das Denk- und Vorstellungsvermögen der Beteiligten.

Sie muss finanzierbar sein.

Allzuoft bleiben Inszenierungen noch vor dem Kick-Off stecken, weil eine zu große Lücke zwischen Budget und geschätzten Kosten klafft. Nur eine vorbehaltlose Analyse und ggf. Modifikation der Planung rettet die Produktion dann vor dem Scheitern – oder vor gnadenlosen Überraschungen wie etwa seinerzeit beim Bau des Münchner Olympiastadions. Der Prozess der gegenseitigen Annäherung von Inszenatoren und Budgetverwaltern bedarf einer sensiblen Moderation, da in ihm neben unterschiedlichen Konzepten meistens vor allem Eitelkeiten, Sturheiten, Pingeligkeiten, Prinzipienreitereien und ritualische Gebärden aus diametral entgegengesetzten Wahrnehmungs- und Mitteilungssystemen aufeinanderprallen.

Sie sollte möglichst wahrhaftig sein.

Das schließt keineswegs absurde, abstrakte oder surrealistische Inszenierungen aus. Der Begriff Wahrhaftigkeit bezieht sich z.B. im Theater weniger auf die Form oder den Stil der Darstellung als auf ihren Impuls. Das Publikum möchte dem Schauspieler glauben. Es möchte nicht, dass er ihm etwas vorlügt, dass er auf Schau macht, dass er bloß so tut als ob, sondern es möchte die Ehrlichkeit und die Wahrhaftigkeit seines Handelns spüren und nachvollziehen können. Die Figur soll keine Hülle sein, sondern leben.

Sie sollte einer Konzeption folgen.

Wobei es auch eine Konzeption sein kann, das Entstehen der Inszenierung dem freien Spiel der Spontanität zu überlassen. Dabei muss die Konzeption keineswegs simpel und offensichtlich sein, sondern lediglich emotional und körperlich spürbar vorhanden.
Vergleichbar ist das mit einem Puzzle. Ich sehe zwar den Zusammenhang nicht sofort, ich spüre und weiß aber, dass die Einzelteile so gemacht sind, dass sie am Ende zusammenpassen. Daraus beziehe ich als Rezipient meine Freude und Spannung. Ein Puzzle, dessen Teile am Ende nicht zusammenpassen, wird mich in meinem Vertrauen, meiner Offenheit und meiner Begeisterung gegenüber dem Medium nachhaltig enttäuschen.

Sie sollte entweder als plakative Bestätigung

oder als Provokation in eine Beziehung, in einen Dialog mit dem Zeitgeist, mit dem räumlichen, personellen und zeitgeschichtlichen Umfeld treten. Nur dann lädt sie zum Verweilen ein, zur Auseinandersetzung, nur dann wird sie die verdienten dienten Pfui!- und Bravo!-Rufe ernten. Für den Künstler bedeutet es vergebliche und frustrierende Liebesmüh, wenn seine Inszenierung Luft bleibt, wenn die Menschen achtlos an ihr vorübergehen.

Falls es einen Auftraggeber gibt,

sollte sie seine Vorstellungen erfüllen und seine Interessen und Ziele bedienen. Dies ist ein häufig auftretender Konflikt im Bereich der Mimosenbeete und Elfenbeintürme: der Architekt folgt lieber seiner eigenen Ästhetik und plant ein Haus an den Wünschen des Bauherren vorbei. Den Maler, der ein realistisches Portrait für die Ahnengalerie malen soll, überkommt eine plötzliche abstrakte Phase. Der Pianist, der eine Soirée mit gepflegt-unauffälliger Klassik begleiten soll, kann gerade nicht anders, als Free Jazz zu spielen. Für diesen Fall muss man Inszenatoren getrost daran erinnern, dass auch für sie – vielleicht häufiger, als ihnen lieb ist – das Prinzip der Kundenorientierung gilt.
Anders stellt es sich beim Mäzenatentum dar: der echte Mäzen, – der allerdings nicht im obigen Sinne Auftrag-geber ist, sondern vielmehr nur Finanzier, also: Ermöglicher –, wird dem Künstler mit der großzügigen Erhaben-heit des Wohlhabenden die Freiheit der vollen Selbstverwirklichung einräumen, auch wenn das Produkt weder seine Ästhetik noch seine Einstellung repräsentiert. Und selbst darüber gibt es paradoxerweise oft heftige Debatten in der Szene der Inszenatoren: Darf ein Mäzen das? Ist es nicht die höchste Form der Verachtung und des Zynismus, sein Geld egal wofür zur Verfügung zu stellen? Da werden Gedanken an die Funktion der Hofnarren und Harlekine wach, die alleine berechtigt waren, dem König den Spiegel vorzuhalten – provocante, ma non troppo, sonst wurden – und werden? – sie geteert, gefiedert, kastriert, geköpft.

Eine Inszenierung sollte die intellektuelle Kapazität ihres Zielpublikums nicht überstrapazieren.

Ist es so, werden Reflexion und Dialog eher verhindert. Daraus folgt allerdings nicht, dass Inszenierungen unbedingt bequem sein sollen. Es sei lediglich darauf hingewiesen: die Inszenierung für alle gibt es nicht. Jede Zielgruppe hat ihre eigene Schallgrenze. Das macht vielen Inszenierungen das Leben schwer. Soll man vom Publikum vor Eintritt Nachweise verlangen, die es für den Besuch qualifizieren? Soll es Inszenierungen für unterschiedliche IQ-Stufen geben, oder für bestimmte Glaubens-, Berufs- oder Volksgruppen? Die Antwort ist ein klares Nein! Aber dieses Nein macht eben jede Inszenierung auch zu einem Kompromiss. Abermals: Im Idealfall zum relativ besten!

Summa summarum:

sie sollte ihren Zweck erfüllen, wenn sie nicht bloßes l’art pour l’art sein möchte.

Und: Sie sollte eine Geschichte erzählen:

Der Dramaturg Hermann Bahr hat gesagt ‚Theater wird erst wirklich, wenn die Zuschauer innerlich mitspielen‘. Dieser Satz gilt sicher für alle Inszenierungen. Ob auf der Bühne, im Warenhaus, bei einem Bauwerk, einem Bild, meinem Auftritt bei der Party, meiner neuen Frisur, bei dem Skandal, den ich inszeniere oder bei der publikumsträchtigen Vorführung meines neuen Cabriolets. Ohne Publikum ist meine Inszenierung nichts als heiße Luft. Mein Publikum muss innerlich mitspielen, muss seine Regungen zeigen, noch besser seine Erregung, seine Geilheit, seinen Neid, seine Sehnsüchte, seine Begehrlichkeit, seinen Hass, seine Abneigung, seinen Ekel, seine gespielte Gleichgültigkeit, seine Erhabenheit. Ich möchte sehen, wie aus meinem Publikum Riesen werden, Bewunderer, Zwerge, Impotente, Lächerlinge, Claqueure, Fußvolk, Hofstaat, Analytiker, Experten, Ahnungslose. Dabei müssen die Geschichte, die ich erzähle und die, die mein Publikum versteht, keineswegs kongruent sein. Es genügt, wenn ich die Phantasie meines Publikums geschickt anrege, so dass es sich seinen eigenen Reim auf die Inszenierung macht, dass es seine eigenen Assoziationen freisetzt, zu seinen eigenen Emotionen findet, seine eigene Logik konstruiert.

Inszenieren – Der Spagat zwischen Rolle und Ich

Inszenierung – Lust und Last

Das ist der eigentliche Haut Gout der Inszenierung: dass ich durch die Geschichte, die ich erzähle, und durch die Geschichte, die die anderen rezipieren, in deren Augen ein solcher werden kann, wie ich in ihren Augen gerne sein möchte. Dass ich mich also durch meine Inszenierung in andere Wahrnehmungssysteme möglichst so hineinmanipuliere, wie ich es gerne will. Dabei ist der Gradmesser für meinen Erfolg die Kongruenz zwischen dem Effekt und meiner Kalkulation.
Eine Inszenierung ist da am effektvollsten und am verlockendsten, wo viele Menschen zusammenkommen, wo Massen kanalisiert werden wollen oder sollen, wo Emotionen ausgelöst werden sollen, die ohne die Inszenierung vielleicht gar nicht entstünden. Deshalb sind Inszenierungen von Staats bzw. Organisation wegen da besonders groß, bombastisch und perfekt, wo es der Staat oder eine Organisation selber ist, der/die sich zum Kunstwerk verklärt, wo es der (An)Führer, der Big Boss selber ist, der für sich die Rolle von Gott und Schöpfer einerseits und die des Kunstwerks selbst andererseits beansprucht.
Genau da liegt auch das Gefahrenpotenzial, das von Inszenierungen ausgehen kann: ihre Missbräuchlichkeit:
Gerade Masseninszenierungen setzen in den allermeisten Fällen auf Volkskitsch, Pathos und billigste Emotionen und sind geeignet, den Sportpalast- Effekt auszulösen. Lediglich ihr Anlass und ihr Zweck, sowie das Anliegen und der Charakter des Inszenatoren entscheiden über Gut und Böse. Perfekten Inszenierungen gelingt es, den Beobachtern etwas vorzugaukeln, das in Wahrheit gar nicht so ist. Da liegt die Grenze zwischen Verantwortlichkeit und Verantwortungslosigkeit des Regisseurs. Ist die Inszenierung eine bösartige Lüge, so sollte er die Lüge am Ende der Inszenierung auf- und sein Publikum erlösen.
Wenn in einer Gesellschaft die Anzahl der inszenierten (und gelogenen) Momente, die ein Individuum pro Tag erlebt, die der halbwegs wahrhaftigen übersteigt, entstehen erst Realitätsferne, Illusionismus, Selbstverliebtheit und Wundergläubigkeit, die nie erfüllt wird, und später Frustrationen, Handlungs-Lähmungen in Bezug auf die schiere Bewältigung alltäglicher Anforderungen und Brüche in der Selbstwahrnehmung. Die über-inszenierte Gesellschaft verliert irgendwann ihr Augenlicht, geht auf permanente Innenschau nach unbefriedigten Sehnsüchten und wird – wie Narziss – schließlich Opfer ihrer selbst.

Wachsam sein!

Darauf bezog sich der Maler Salvador Dalì, als er sinngemäß sagte, jede untergehende Kultur ersetze ihre verlorengegangene Potenz durch Türme. Wenn wir Dalì ernst nehmen und die Zahl der Türme – und anderer Inszenierungen – betrachten, die in unserem Lande überall wie Pilze aus dem Boden schießen, tun wir sicher gut daran, klaren Blick zu bewahren und – jeder für sich – immer wieder die ausgewogene Balance zwischen der Rolle und dem Ich neu und selbstkritisch zu justieren.

Text: Kuno Windisch

Der Autor: Kuno Windisch, geboren am 23.01.1954 in Lauf an der Pegnitz/Mittelfranken. Regisseur, Personalreferent, Heilpraktiker (eingeschränkt auf den Bereich der Psychotherapie). Profitheater seit 1984 mit Haupt-Stationen in Nürnberg, Winterthur/CH und Dortmund, zuletzt fünfeinhalb Jahre als künstlerischer Leiter des Dortmunder Kinder- und Jugendtheaters. Seit anderthalb Jahren selbständiger Unternehmensberater mit Schwerpunkten auf: Auftritte; Coaching; Verkaufs-, Personalund Führungskräftetrainings für: Kommunikation, Konflikt, Kreativität, Kundenorientierung, Phantasie und Humor als Erfolgsfaktoren; Begleitung von Veränderungsprozessen; Event-Planung; Personal-, Team- und Organisationsentwicklung; Unternehmensphilosophie und Wertemanagement; Zielformulierungen; Zukunftswerkstätten. Windisch arbeitet in erster Linie mit der Methode des Unternehmenstheaters, um mit seinen Seminaren den Schritt vom verkopften Lernen zum sinnlichen Be-Greifen zu vollziehen. Kontakt: kpj.wi@surfeu.de oder 0179-3974480

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