Close your eyes and see: Taktile Architekturmodelle

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Modellerstellung am Fach „Modell+Design“,Institut für Architektur an der TU Berlin

Die taktilen Modelle bieten nicht nur Blinden und Sehbehinderten einen Zugang zu Architektur: Mit dem Anspruch „Design for All“ sollen auch Sehenden neue Dimensionen der Wahrnehmung eröffnet werden …

 

Wie kann man Blinden und Sehbehinderten Architektur und stadträumliche Strukturen begreifbar machen?

An der TU Berlin werden am Fach Modell+Design taktile Modelle entwickelt, die Blinden, aber genauso Sehenden ungewöhnliche Zugänge zur Architektur verschaffen.
Mit viel unkonventioneller Experimentierfreude entstehen dabei außergewöhnliche Modelle, die (auch international) einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Ein taktiler Guide für die Reichstagskuppel: Als Ergänzung zum Audioguide können blinde und sehbehinderte Besucher einen „Tastkoffer“ mitnehmen.

Sie erstellen, immer in Zusammenarbeit mit Studierenden, professionelle Modelle für Kultur und Wirtschaft.
Welches war Ihr Highlight-Projekt?

Ein besonderes Ereignis war die Berlin-Präsentation auf der Expo in Shanghai 2010, mit unserem Ausstellungskonzept „Close your eyes and see“. Die Besucher bekamen beim Betreten Dunkelbrillen aufgesetzt und sollten sich entlang eines Geländers durch die Ausstellung bewegen. Unter ihren Füßen spürten sie verschiedene Stadtoberflächen, an dem Geländer Tastmodelle. Gestartet wurde mit einem Umgebungsmodell des Hauptbahnhofs, mit glatten Granitplatten unter den Füßen.

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Zudem hörten die Besucher typische Bahnhofsgeräusche. Die Stadt wurde so über die Oberflächen unter den Füßen, das Betasten der Modelle mit den Händen und die Geräusche Berlins über die Ohren erfahren – eine ganz andere Wahrnehmung der Stadt. Nach verschiedenen Stationen nahmen die Besucher die Brillen ab und konnten die Nachfolgenden beim Erkunden der Ausstellung beobachten. Erst am Ende bekam man die Information, dass man sich soeben wie ein Blinder durch die Stadt bewegt hatte – nicht vorab! Das war also ein ganz spielerischer Zugang. Das ist auch immer unser Anspruch, dass wir das für alle machen, nicht nur für Blinde.

Sie erweitern damit die Dimensionen der Wahrnehmung …

Ja. Die Frage nach der Wahrnehmung ist für uns eine ganz spannende. Normalerweise funktionieren wir visuell, und plötzlich ist dieser Kanal nicht mehr da. Im gestalterischen Modellbau spielen sonst Abstraktion, optische Erkennbarkeit etc. eine Rolle. Das für jemanden zu machen, der nur fühlt, ist schon sehr spannend.

Von klein nach groß: In Berlins größtem taktilen Modell werden ausgewählte Wahrzeichen als so genannte „Lupenmodelle“ dargestellt. Blinde Besucher gelangen über einen Tastweg (Stahlstab) vom Stadtmodell zum detaillierten Lupenmodell.

Beim Thema taktile Modelle leisten Sie Pionierarbeit: Sie haben herausgefunden, dass als Werkstoff eine Mischung aus Kunststoff und Sand die ideale ist.

Taktile Modelle müssen einige Kriterien erfüllen: Die Haptik vorwiegend steinerner Architektur muss wiedergegeben werden. Und das Material muss tausendfachem Begreifen standhalten, abwaschbar und pflegeleicht sein. Die Mischung aus Kunststoff und Sand fühlt sich beim Begreifen relativ kühl an und kommt so einer steinernen, architektonischen Wahrnehmung nahe.

Heute gibt es auch Corian- oder Alumodelle, die gefräst werden, die lassen aber nicht einen solchen Detailgrad zu, da zum Beispiel beim Corian Feinheiten schnell abbrechen. Unsere Kunststoff-Sand-Mischung erlaubt einen hohen Detailgrad. Wir haben etwa ein Jahr lang experimentiert, bis wir die genaue Zusammensetzung, den richtigen Sand, die richtige Konsistenz und Weiterverarbeitung hatten.

 

Was kommt als Nächstes?

Aktuell arbeiten wir an einem Tastmodell für die Bundeskunsthalle Bonn, das wir wieder zusammen mit unseren Studierenden erarbeiten. Das wird eine spielerische Erkundung der Bundeskunsthalle Bonn – aber wieder ein ganz eigenes Konzept, kein klassisches Tastmodell.

 

Die Fragen beantwortete Annette Müller Dozentin, Modell+Design, TU Berlin

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